LEDERSOFA ODER HIFIß

■ Eine historische Rezension des Ikea-Katalogs von 1974 bis 1990

Wer will sich schon gern erinnern an die Zeiten, als es noch keine etwas anderen Restaurants gab und noch keine unmöglichen Möbelhäuser aus Schweden. Wer will noch die Pommes missen, die eigentlich nach Apfeltasche und Huhn schmecken, wer den süßen Frust, wenn die entscheidenden vier Kreuzschrauben mal wieder nicht beigelegt sind oder Peter, das verchromte Drahtregal, nach 40 Kilometer Anfahrtsweg gerade nicht am Lager, aber bestimmt in zwei Monaten wieder da ist. Gut, heute ist Gottschalk im Auftrag des BigMac unterwegs, und das Möbelhaus heißt Einrichtungshaus, und das Wort Schweden kommt nicht mehr vor. Trotzdem:

1974. Wer jung ist, hat mehr Geschmack als Geld. Deshalb sind wir in München, steht auf dem ersten deutschen Ikea -Katalog, der Kunde ist König, Weiß auf tiefbraunem Grund. Erste Filiale in Deutschland, München-Eching. Wieso wir gerade nach München zuerst gekommen sind? Naja, immerhin kommen ja sechs der Fußballweltmeister aus der Weltstadt mit Herz. Auf dem Titel Lucas, der Relax-Stuhl, der Klassiker, braunlackiertes Stahlrohr mit braun- oder blaukariertem Polster. Heute verstaubt der praktische Urahn (Plastfüße schonen den Boden) in Partykellern christlicher Pfadfindergruppen, in verlassenen Jugendzimmern oder auf den Trockenböden von Lehrerehepaaren. Und natürlich der lachende Elch, Agit-prop-Comic-like, müde grinsend, aber noch ohne Latzhose. Auf der Seite 2 stellt Ingvar Kamprad, Schwedenschreiner und Vater einer unmöglichen Idee - mit dem dunklen Horngestell ganz skandinavischer Sozialkapitalist -, die guten und schönen Möbel für wenig Geld vor. Die Regale noch offen und unlackiert, die Bezüge aus festem Sackleinen und Breitcord. Die „Doors“ hören auf tieforangenen Sesselelementen, Span, die gemütliche Kieferspanlampe, taucht die Wohnhöhle in warmes Licht. Da heißt die Sitzgruppe Revolt, das Regalsytem Paroll, der Küchenstuhl Frisco und das Gartenmöbel Kontiki. Für radikale Nestflüchter. Da wird die Ehebetten-Abteilung auf zwei Seiten abgehandelt, und die Kinderzimmer haben auch nicht mehr. Die Haushaltsboutique Accenten beschränkt sich auf schmiedeeiserne Kerzenleuchter und das Einheitsservice aus weißem Feldspat mit roter oder brauner Verzierung. Nun gut, einige der Polsterkombinationen sehen auch nicht besser aus als von Möbel-Kraft in Bad Segeberg, aber die Reisstrohrollos und der Kokosfaserteppich bringen einen Hauch von Trikont ins Heim. Preßspan mit weißem Plastaufstrich löst den Schleiflack ab, Opas Anrichte aus massiver Kirsche mufft schon tausend Jahre und wandert für Spalt, die Wohnwand, in den Sperrmüll. Die Lasur wir hier erstmals direkt auf Spanplatte gebracht, eine Technik mit interessantem, neuem Effekt. Das Basis-Regal, heute Ivar, heißt noch Bosse, die Auslegware Wand -zu-Wand-Teppich, es gibt nur einen Klappstuhl: Klapp. Doch mit der Übersicht (64 Seiten) und dem knapp-knallharten Textrealismus, In einer Zeit, in der die Inflation ihr böses Spiel treibt, darf sich eine preisbewußte Möbelfirma nicht erlauben, Möbel „ins Blaue“ zu entwickeln, ist es bald vorbei.

1981. Das Möbel zum im Niedergang begriffenen Ostfriesenwitz. Die Jungfrau staunt und ist perplex! Was ist denn los auf Seite sechs? Flotte Sprüche auf jeder Seite. Sofas, die sie um die Ecke bringen/Die zehn Gebote des Sitzenlassens/Wir helfen Ihnen auf Küche komm raus. Der Elch lacht mit weit aufgerissenen Äuglein, lila Schaufeln und Blaumann. Das Möbelhaus heißt weiter unmöglich, das Titelbild zeigt schlicht den skandinavischen Zweisitzer Göteborg. Unsere Harmonie bringt ihre Wohnung in Einklang. Holz bleibt dominant, aber es wird heller. Die Rückkehr der Vitrine, Leder kommt gewaltig, die Höhenverstellbare Hängelampe mit Telefonkabel ist auf dem Zenit. 166 Seiten, endlich ein Inhaltsverzeichnis, die Grobgliederung in Wohnen - Essen - Kochen - Baden - Schlafen bildet sich heraus. Praktische Überblick-Doppelseiten zeigen das ganze Sessel-, Tisch-, Betten-Sortiment auf einmal. Familienzeit. Für 10.000 Mark richten Sie-Er-Es die ganze Wohnung ein (ohne Elektrogeräte). Das Ehebettenressort exolodiert auf das Fünffache, Kindermöbel auf sechs Seiten vom Laufstall bis zur Gymnasialen Oberstufe. Küchenmesser -Pluralismus, skandinavische Lebensmittel, Ikeas Kochbuch von Carl Butler. Der Kreislauf des Lebens ist erschlossen von Serviettenring bis Klobürste. Zur atmosphärischen Verbesserung der Käufer-Möbelhaus-Bindung feiert man zusammen: großer Weihnachtsmarkt mit schwedischer Lichterkönigin, Oster-Ferienspaß, Sommmerferienfest mit Grill, Midsommar-Fest.

Es bleibt gediegen. Der Möbelfakta-Sitzroboter testet für die Ewigkeit, eingestreute Bilder aus dem bekannten Freilichtmuseum von Skansen bei Stockholm mit Schlafkojen, Spinnrädern, Standuhren aus dem 19. Jahrhundert sorgen für Identität. Mensch, die hatten auch schon Kiefer. Gründermöbel, Bankir, Princip, DisponentStabilSystem.

Katalogauflage an die 20 Millionen, 17 Möbelhäuser bundesweit, Weltumsatz zwei Milliarden. Wir ruhen uns nicht auf unseren Polstern aus.

1990. 292 Seiten. Der Elch ist tot. Ledersofa oder HiFi? Beides! Die Sprüche abgespeckt, die Texte gekürzt. Landeschef Ikea-Deutschland Ebbe-Pelle Jacobsen zeigt lächelnd Swatch und Burlington: Erfülle deine Träume, lebe heute.

Mittelschweden liegt unter schwarzem Lack, Stahlrohr und Lochblech begraben. Keine Designsberechtigung mehr. Der Titelzweisitzer heißt Kristianstad, sieht aber verdächtig nach Oberitalien aus. Der Tischlampenfuß ist mexikanische Folklore, die Vitrine britische Kajüte. Große Vasen, edle Stoffe, tiefer Flor. Ein wenig Memphis, ein wenig Phillipe Starck und für die Muster New Yorker Volkskunst. Das Original kaufen wir bei Auflösung des Bausparvertrags.

Die Dielen werden wohnlicher, die Teewagen gewagter, das Jugendzimmer eine Ablagefläche für Unterhaltungselektronik. Alles abgestimmt. Von der Energiesparbirne bis zum ergonomischen Klorollenhalter. Terminal, Delegat, Mandat, Contrakt. Beim Schieben durch die rot-grüne Zukunftslandschaft treffen sich Kleinfamilie (achtteiliges Baby-Startpaket), Single (Heimbüro), Zahnarzt (Büro Signatur), und Ex-BesetzerIn (Teppichfliese Bottrup) zum Aufmarsch der zwei Drittel.

Vom Alterssitz am Zürichsee sieht Ikea-Vater Kamprad, daß alles gut und Schweden doch überall ist. Das hat er geschafft und nicht Olof Palme.

kotte