EXEKUTIERTES VERGNÜGEN

■ „Zitty-spezial“ - Das kultimulturelle Weltropolenblatt

Üblicherweise werden Reklamesendungen in den Briefkasten gesteckt oder Zeitungen beigelegt. Die an Blödwucherungen ohnehin nicht armen 80er Jahre haben auch hier ein adäquates Produkt aus ihrem in dieser Hinsicht fruchtbaren Boden schießen lassen: ein Reklameblatt für Berliner Gaststätten, Restaurants und Amüsierbetriebe, das mit lifegestyltem Gedöns zum metropolitanen Freudenblatt aufgemotzt wird, so daß man es für sechs Deutsche Mark am Kiosk käuflich erwerben muß. Zitty, die HörZu für WGs, bietet - ganz beamtenheimstättenwerkmäßig - seiner Kundschaft mit Zitty -spezial ausgewählte Ratschläge, damit sie in die Lage versetzt wird, schöner essen, schöner trinken und schöner tanzen zu gehen. Alles in allem: auf 100 Seiten 20 Prozent konventionelle Reklame, 20 Prozent Adressen mit kurzen Objektbeschreibungen (unbezahlte Reklame), 15 Prozent redaktionelle Beiträge (Abteilung: anspruchsvolle Promotion) und ganz, ganz viele Werbephotos.

Die ungemein bestechende Idee ist ungefähr folgende: Es gibt z.B. einen Artikel zu Cafehäusern, dazu wird nachfolgend ein Cafehaus-Adressenverzeichnis mit Kurzerläuterung geliefert plus Cafehausphotos plus Cafehausanzeigen. Ein Cafehaus hat so die Chance, viermal Erwähnung zu finden: im Artikel, im Adressenverzeichnis, als Photo und als Anzeige. Zugegeben: ein raffiniertes Konzept, für das die umworbene Zielgruppe auch noch bezahlt. Die Namen in den geschalteten Anzeigen dürften sich mit denen des Adressenverzeichnisses ungefähr decken. Insofern wäre es recht aufschlußreich, welchen Vorleistungen Gaststätten genügen müssen, um Aufnahme zu finden.

Gegen so ein Reklameblättchen wäre an sich kein Einwand zu erheben, spielte es sich nicht als Fachblatt für Hedonismus und Metropolenkultur auf. Motto: „Wer sich jetzt nicht mit unserer Hilfe in Berlin vergnügen kann, dem kann niemand helfen!“ Oh, Zitty, sei uns Miesepetern gnädig! Diese gleich im Editorial ausgesprochene Drohung vollstreckt der vorangestellte ideologische Leitartikel in aller Konsequenz. Denn bevor sich der potentielle Vergnügungskunde in die Tage und in die Nächte stürzt, muß er sich das entsprechende mentale Rüstzeug zulegen, welches der Anleitungsartikel bereit stellt. Er ist im übrigen eine scharfe Attacke gegen diejenigen, die es gewagt haben, von den blöden 80ern zu reden.

Die 80er seien nämlich gar nicht blöde gewesen, die Stichworte hingegen lauten: „grell-expressiv“, „Tanz auf dem Vulkan“, „es wurde experimentiert, daß sich die Mauer bog“. Muß ein tolles Jahrzehnt gewesen sein. Die selbstgefällige Erwähnung der Achse Berlin - New York kann da selbstverständlich nicht fehlen. Sogar „gesicherte Emanzipation“ vermag der Leitartikel zu entdecken. Soviel Wohlwollen wird den Betreibern des Konservativen Rollbacks mit ziemlicher Sicherheit ein feinsinniges Schmunzeln ins Gesicht zaubern. Garniert wird das Loblied der 80er mit einem Glaubenssatz des kritisch-konsumfreudigen Citoyens: „Mit einer eleganten Verquickung von aufgeklärtem Bewußtsein und hedonistischer Genußliebe marschiert er (der Mensch der Endachtziger) ins nächste Jahrzehnt.“ Marschieren gehört eben essentiell zum deutschen Hedonismus. Ansonsten hat man sich die sinnenfreudige Angelegenheit wohl so vorzustellen: bei der hedonistischen Speiseaufnahme des Lachsfilets schwadroniert der Endachtziger über soziales Elend, wahlweise über das Nord-Süd-Gefälle.

Der große Feind des aufgeklärten Bewußtseins dieser Sorte ist erstaunlicherweise der Zeitgeist. Hier liegt offensichtlich ein Zwang zur Selbstbestrafung vor. Wie der Dieb „Haltet den Dieb“ schreit, so wird hier der Zeitgeist in allerlei Artikeln gegeißelt, damit er sich um so hemmungsloser auf den Seiten eben jenes Reklameblattes ausplappern kann. Die schärfsten Kritiker der Elche sind selber welche. Gerade die drei Topwörter des Zeitgeistes Metropole, Weltstadt, multikulturell - werden geradezu manisch immer wieder hingeschrieben, was hinlänglich beweist, daß Blödigkeit und Zeitgeist untrennbar zusammengehören.

Berlin: die multimetropolitane Kulturweltstadt in der Mitte Europas. Wir sind wieder wer und schwer beeindruckt von uns (und das schon vor dem Mauerfall). Bei soviel Metropolengeschwätzigkeit (ersparen wir uns die einzelnen Belege) nimmt es denn gleich gar nicht mehr wunder, sondern erscheint es zwingend logisch, daß hierzu eine passende Gangart auftaucht: nämlich die „kosmopolitische Weitläufigkeit, mit der der postmoderne Mensch der Endachtziger sich so gerne bewegt“. Scheint ein wahres Prachtexemplar zu sein, der Mensch der Endachtziger (im folgenden M.d.E. agbekürzt). Kulturkraft durch Metropolenfreude.

Frohsinn ist das Gebot der Weltstadt. In der „vergnüglichen Topographie Berlins“, welche das Betreuungsorgan für Amüsierwillige seinen Lesern verspricht, ist alles genauestens verortet und verkastet. Das jeweilige Adressenverzeichnis für „vegetarische Gastronomie“, für „noble Küche“, für „Kneipen ohne Zeitgeistdünkel“, für „Szene-Läden“ etc. hält für die einzelnen Objekte eine kurze Beschreibung parat, damit der M.d.E. Bescheid weiß. In dem einen Etablissement sind „Kreativ-Leutchen“, in dem anderen „taz-Schreiberlinge und Weltverbesserer“. Es gibt einen Laden für „Medienhengste und Filmsternchen, für Kopfarbeiter und emanzipierte Selbstverdienerinnen“, in einem anderen tummeln sich „die Journaille, Kunstschaffende und andere Anhänger des Dolce Vita“. „Blasierte Kulturfritzen“ haben ebenso ihr zugewiesenes Plätzchen wie „waschechte Berliner“. Der Weltstadtratgeber für Lebensart gibt autoritären Bescheid - Widerspruch zwecklos: „Neuköllner Verbalanarchos und kapitalgeschulte Altachtundsechziger diskutieren hier Gott und die Welt.“ So lautet das unumstößliche Diktum. Stempel drauf und weg: der Triumph der Reklamesprache. „Filmfritzen, Bücherschreiber, Popstars und viele, die der Gewißheit sind, daß sie in der Zukunft die Größten sein werden, versammeln sich hier zu Fachsimpeleien.“ Unnachgiebig wird ein Bescheid nach dem anderen rausgehauen. Natürlich alles mit einem leicht ironischen Schlenker vorgetragen. Wegen des Hedonismus.

Zum Schluß steht die eine bange Frage im Raum: Wie werde ich ein Mensch der Endachtziger (postmodern, lifegestylt, gesichert emanzipiert, aufgeklärt, bewußt, hedonistisch, kosmopolitisch weitläufig, multikulturell, metropolitan, individuell kreativ und überhaupt so richtig genußmenschlich)? Mit dem Erwerb von „Zitty-spezial/essen, trinken, tanzen“, dem kultimulturellen Weltropolenblatt, ist der erste Schritt getan. Nun gilt es, den Anweisungen der Metropolenhechte Folge zu leisten und dabei gleichzeitig die fröhlich-kritische Zitty-Philosophie anzunehmen - schon ist ein Endachtziger perfekt: eine grundsolide Methode, sich der grassierenden Verblödung anheim zu geben.

Volker Gunske