Die Mauer? Gleich rechts hinter dem Porzellan“

Die Jagd nach Mauerstückchen in den US-Kaufhäusern / Kunden vermissen Graffitispuren: „Alles nur grauer Zement hier“ / „Lassen Sie ihre Finger entlang der zerborstenen Oberfläche wandern, und Sie spüren ferne Erschütterung...“  ■  Von Lila Das Gupta

Washington (taz) - „Entschuldigen Sie, wo verkaufen Sie denn hier Mauer?“ Die Dame am Eingang des Kaufhauses Hecht's in Washingtons Nordosten weiß gleich Bescheid. „Die historische Berliner Mauer? Die ist im zweiten Stock in der Hauswarenabteilung, gleich rechts hinter dem Porzellan.“

Die Rolltreppe hinaufgleitend, frage ich mich, wie sie das Symbol des kalten Krieges in Amerikas Kapitale wohl vermarkten würden. Ganz pragmatisch als Raumteiler? Oder politisch, garniert mit einem spielzeugbewaffneten DDR Grenzsoldaten, der den Kunden Krimsekt einschenkt? Oder würde gar ein von Hecht's geheuerter „Kreuzberger Autonomer“ mit der Graffitispraydose im Anschlag daneben lauern so wie die überschminkten Damen mit ihren Duftdosen in der Kosmetikabteilung? Vorbei an den Capuccinotassen, noch mal um die Ecke, und da, zwischen chinesischen Wok-Kochpfannen und Salatschleudern, steht sie: ein Stück Instantgeschichte, die Mauer.

Daumengroße Mauerfragmente spiegeln sich als Schaustücke in einer transparenten Plastikpyramide. Der Rest Mauer ist in ziegelsteinförmige Kartons verpackt, mit Echtheitszertifikat. Ein junges, anarchoid anmutendes Pärchen sucht verzeifelt nach einem Mauerfragment mit Graffitispuren. „Alles nur grauer Zement hier, beklagt sich der junge Mann in schwarzer Lederjacke und Baskenmütze. „Das kann ja von überall herstammen“, stimmt seine Partnerin ihm zu. Sie nimmt den 10 Dollar teuren Mauerbrösel aus dem kleinen Veloursäckchen („Bag (only) made in Taiwan“) und liest laut aus der beiligenden Informationsbroschüre vor, die offensichtlich von einem arbeitslosen romantischen Romanschriftsteller verfaßt wurde: „Lassen Sie ihre Finger entlang der zerborstenen Oberfläche (des 30-Gramm -Mauerstückchens) wandern, und Sie fühlen, wie sich die ferne Erschütterung zukünftiger Geschichte sanft in ihrer Hand entfaltet...“

Einige der Kunden sind peinlich berührt, beim Mauerkauf ertappt zu werden. „Das ist für meinen Mann, der interessiert sich so für internationale Beziehungen“, erklärt eine schicke Mittvierzigerin, ehe sie mit ihrer Mauerbox rasch hinter der Kasse verschwindet, als wäre sie bei einem unziemlichen Akt erwischt worden. Für viele Weihnachts-Shopper bringen die in der Gangmitte aufgetürmten Mauerstücke die Erlösung von der Qual der Auswahl. „Dies ist was für die, die schon alles haben“, erklärt mir erleichtert eine jüngere Frau mit Kind, die gleich zwei Mauerstücke in ihr Einkaufskörbchen legt. „Eins für meine Mutter und eins für meine Schwester. Das haben die bestimmt noch nicht!“ Doch es gibt auch skeptische und kritische Stimmen unter den am Mauerstand Verweilenden. Die einzige „Erschütterung“, die eine ältere schwarze Frau beim Befingern desunscheinbar grauen Mauerbruchstückchens fühlt, ist Wut. „Dies ist eine Schande, als würde man das Blut eines Sterbenden verkaufen.“ Die Dame ist ernsthaft empört. „Als ich das mit Berlin im Fernsehen gesehen habe, wußte ich schon, daß die Mauer bei uns im Supermarkt enden würde. That's capitalism.“ Ihrer Meinung nach sollten die Mauerstücke umsonst weggegeben und nicht profitträchtig verhökert werden. „Die Leute dort haben doch schon den Preis dafür bezahlt.“