„82 - 58 - 89: noch nicht abphotographiert“

■ Wie der 'Playboy‘ die erste „Playmate“ aus der DDR an den Mann bringt Die DDR als Schwellenland für die westliche Auto- und Pornoindustrie

Vor einem Jahr noch hat der Kollege vom Internationalen Pressezentrum (IPZ) dem DDR-Besucher aus dem Westen Aufgaben und Vorteile des Journalismus im Sozialismus erläutert. Jetzt steht er im Ostberliner Grand-Hotel, nimmt die 'Playboy'-Pressemappe mit Freiexemplar entgegen und seufzt: „Meine Güte, es hat sich soviel verändert.“ Der Mann rollt erschöpft die Augen. Um mit den Veränderungen Schritt zu halten, hat er kräftig mitgeholfen, Kontakte zu 'Playboy‘ zu knüpfen - das vorläufige Ergebnis seiner Bemühungen schreitet Minuten später, flankiert von zwei Frauen im infantilen Bunny-Dreß (Hasenohren im Haar, hochhackige Schuhe und Hasenbüschel am Po), ins Hotelfoyer. Anja Kossack, 21 Jahre alt, aus Magdeburg darf seit der Januar -Ausgabe des 'Playboy‘ für sich den Titel „erste Playmate aus der DDR“ in Anspruch nehmen.

Vor der versammelten Ost-West-Presse präsentiert sich Deutschlands „erfolgreichstes Herrenmagazin“ erfolgsbewußt und den Entwicklungen eine Spur voraus. Das Grand-Hotel, Luxuscontainer für Hauptstadttouristen mit West-Devisen, sorgt mit Büffet und Sekt für das nötige Ambiente und darf sich nun als eine „der wenigen exklusiven Verkaufsstellen“ für das Magazin schmücken. Hier habe man die „geeignete location“ gefunden, um die erste Playmate aus der DDR abzulichten, referiert 'Playboy'-Chefredakteur Andreas Odenwald, glatt-smarter Mittvierziger. Schulterklopfen für den ersten DDR-Photographen, der eine Playmate photographiert hat. „Ohne Günter Gueffroy“, so Odenwald, „gäbe es zwar Anja, aber keine Photogeschichte.“ Und was wäre schon Anja Kossack ohne Photogeschichte. Gueffroy, dicklich, die schütteren Haare nach hinten gekämmt, die Bäckchen gerötet, erntet an diesem Tag noch mehrmals kollegiale Anerkennung. „Toll, was der mit den Mädels macht“, meint der 'Bild'-Reporter. Nur zwei Kollegen haben nach eingehender Betrachtung etwas zu monieren. „Ein bißchen klein, die Kleine“, sagt der eine, dem anderen ist sie „zu farblos“.

Anja Kossack, Zahnarzthelferin und Mitglied des Tanzensembles der „Schwermaschinenbauer Magdeburg“, erklärt, das Posieren für die Nacktphotos habe „wahnsinnig Spaß gemacht“. Das zu betonen wird auch 'Playboy‘ nicht müde; die Mutter habe der Tochter die Spitzendessous genäht, auch „Freund, Vater und Tante halfen mit“. 'Playboy‘ - ein Segen für die ganze DDR-Familie. Sie habe eben zeigen wollen, daß nicht alle Frauen in der DDR „graue Mäuse“ sind, sagt die 21jährige. Bei soviel Sendungsbewußtsein ist die versammelte Journaille entzückt. Die Photographen haben die Message schnell begriffen und drängen zum Phototermin vor symbolträchtigen Motiven: „Playmate“ Anja und „Bunny“ Elke vor dem Hammer-und-Zirkel-Emblem am Palast der Republik oder an die Statuen von Marx und Engels geschmiegt. Dann noch schnell eins für die Privatsammlung: der Photoreporter aus dem Westen mit der ersten Playmate aus dem Osten im Arm.

Das Timing ist perfekt. Weil das, „was Männern Spaß macht“ ('Playboy'-Eigenwerbung), in der DDR bislang verboten war, kokettiert das „Herrenmagazin“ mit dem Etikett der Untergrundliteratur. Weil sich der durchschnittliche DDR -Mann kaum von seinem westdeutschen Bruderexemplar unterscheidet und sich zudem momentan revolutionär gebärdet, ist die Legalisierung des 'Playboy‘ ergo zutiefst reformerisch. Die erste „Playmate“ aus der DDR als Krönung des politischen Umsturzes, der erste nackte Frauenkörper aus dem VEB-Staat als i-Tüpfelchen zu Demokratie und Pluralismus. „We started and Krenz followed us“, so Odenwald zu einem englischen Journalisten. Im Grand-Hotel löst diese Demonstration westlicher Markt- und PR-Gepflogenheiten bei einigen DDR-Journalisten noch sichtlich Unbehagen aus. Doch am nächsten Tag gibt sich das 'Neue Deutschland‘ einen Ruck und druckt eines der Nacktphotos ab. Die 'Frankfurter Rundschau‘ belohnt soviel publizistische Reformbereitschaft tags darauf und bescheinigt den Zentralorganisten, „die Revolution in der DDR fortzusetzen“.

Anja Kossack begreift sich durchaus als Teil dieses vermeintlichen Fortschritts, „schließlich wollten ja alle, daß sich was verändert. Und das gehört auch dazu.“ Bei ihrem ersten Besuch im Westen, drei Tage nach der Öffnung der Grenzen, habe sie in Hannover gesehen, wie sich ihre Landsleute „in einem Beate-Uhse-Laden stapelten“. Die Nachfrage ist da; die Frauen, die sich anbieten, offenbar auch. „Da bewerben sich eine Menge“, meint der Herr vom IPZ, der demnächst mit gut organisierten „Miß East Germany Wahlen“ in den internationalen Wettkampf einsteigen will.

Ins Klischee der kleinen Ausziehpuppe mit Kußmund will sie sich nicht pressen lassen, schließlich hat Anja Kossak am 7. Oktober in Leipzig demonstriert. Auch der prophezeiten Karriere als Fotomodell steht sie skeptisch gegenüber, seit sie im West-Fernsehen „Frischfleisch für Mailand“ gesehen hat - eine Schilderung der Arbeitsbedingungen für Mannequins und Models. Und sie hat dezidierte Ansichten zu Themen, die über den Horizont mancher 'Playboy'-Konsumenten hinausgehen. Von der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten hält sie zum Beispiel wenig. „Es gibt im Moment wirklich Wichtigeres.“ Im 'Playboy‘ sind Aussagen zu solchen Themen vermeintlich qualifizierten männlichen Schreibern wie Werner Schneyder (zur Zeit Dauerkolumnist) vorbehalten. Die inhaltlichen Aussagen Anja Kossacks in der Januarausgabe beschränken sich auf die technischen Schwierigkeiten beim Autosex im Trabi - der Westleser darf schmunzeln. Die DDR als Schwellenland für die Auto- und Pornoindustrie.

Was denn nun „Anjas Vorzüge“ im Vergleich zu anderen „Playmates“ seien, will einer der Westjournalisten schließlich wissen. Gueffroy spitzt noch einmal die Lippen. „Das ist geballte Natur“, sagt er und deutet auf Anja Kossack. Die Herren notieren eifrig, als handele es sich um ein neu entdecktes Ölfeld. „Noch nicht überstylt und noch nicht abphotographiert.“ Und im übrigen sei das alles „ein gewaltiger Schritt vorwärts“.

Andrea Böhm