: Rostreaktor in spe
Liefert AKW Brunsbüttel trotz Korrosionsverdacht wieder Strom? ■ Aus Kiel Jürgen Oetting
Geht das Atomkraftwerk Brunsbüttel heute wieder ans Netz? Die Auskünfte, die der schleswig-holsteinische Energieminister Günther Jansen (SPD) zwischen den Feiertagen gab, sind nicht ohne Rätsel. Gegenüber dem 'Flensburger Tageblatt‘ schloß er ein Wiederanfahren des Meilers am heutigen Tag nicht aus, und gegenüber 'dpa‘ mochte er sich auf kein Datum festlegen. Der Reaktor steht seit dem Beginn der planmäßigen Jahresrevision am 9.Oktober still und wurde bisher nicht wieder angefahren, weil während der Revision zahlreiche technische Defekte im Leitungssystem entdeckt worden waren.
Unabhängig davon, wann das Atomkraftwerk wieder ans Netz geht, hält Jansen seine Sicherheitsbedenken aufrecht. Er erklärte in Kiel, sie seien durch ein neues Gutachten bestätigt worden. In dieser Expertise wendet sich Professor Markus Speidel vom Institut für Metallforschung und Metallurgie der Technischen Hochschule in Zürich gegen Erkenntnisse der Kraftwerksunion und der Materialprüfanstalt in Stuttgart.
Beide Institute hatten 1988 eine generelle Gefährdung durch Korrosionsschäden, wie von Jansen befürchtet, bestritten. Speidel vertritt die Auffassung, daß diese Einschätzung dem damaligen Stand der Technik nicht entsprochen hätte. Nach seiner Meinung hätten die Gründe für die Schäden an Schrauben der Isolationsventile schon bei der Jahresrevision 1988 bekannt sein müssen. Jansen sieht sich jetzt von Gutachtern falsch beraten und will noch weitere Experten auch aus dem Ausland - mit zu Rate ziehen.
Im anderen schleswig-holsteinischen Atomkraftwerk an der Unterelbe, in Brokdorf, wurden im Dezember erhöhte Radioaktivitätswerte gemessen. Jansens Ministerium teilte ebenfalls zwischen den Festtagen mit, daß aus dem AKW Brokdorf zweimal das radioaktive Edelgas Xenon 133 entwichen sei. Die gemessene Radioaktivität habe 50fach über der natürlichen Hintergrundstrahlung gelegen - die bisher höchsten Einzelabgaben von Strahlung in Brokdorf.
Dennoch seien die Freisetzungen nicht als meldepflichtiges Ereignis einzustufen gewesen, da der zulässige Tagesgrenzwert aus der Betriebsgenehmigung bei weitem nicht erreicht wurde. Jansen erklärte dazu: „Auch wenn solche Freisetzungen innerhalb der Grenzwerte bleiben, nehme ich solche Vorkommnisse nicht auf die leichte Schulter.“ Jede Freisetzung zusätzlicher Radioaktivität berge ein vermeidbares gesundheitliches Risiko.
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