Tauziehen um AKW Würgassen

Nach vorläufiger Stillegung durch die NRW-Landesregierung kämpft Preussen Elektra gerichtlich für Wiederinbetriebnahme / Minister Jochimsen: Wegen Brandschutzmängeln „keine Alternative“ zum Stillegen  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Um die Zukunft des umstrittenen Uraltreaktors Würgassen droht jetzt eine monatelanges gerichtliches Hick -Hack. Denn die nordrhein-westfälische Landesregierung verhängte unmittelbar vor Weihnachten einen zunächst vorläufigen Betriebsstopp für den 670-Megawatt -Siedewasserreaktor, den die Betreibergesellschaft Preussen Elektra nicht hinnehmen will. Mit zwei Klagen gegen die Stilllegung der Anlage beim Oberverwaltungsgericht Münster versucht Preussen Elektra kurzfristig, die Wiederinbetriebnahme ihres Atommeilers zu erreichen.

Die Stillegungsanordnung des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Reimut Jochimsen (SPD) war nicht - wie ursprünglich angenommen - die Folge eines Störfalls der Kategorie „Eilt“ am 5.Dezember, in dessen Verlauf Probleme an den sogenannten Druckentlastungsventilen eine Schnellabschaltung des Reaktors ausgelöst hatten. Wie der für die Atomaufsicht zuständige Minister inzwischen mitteilte, waren die „schwerwiegenden Sicherheitsbedenken“ seiner Fachleute vielmehr Ergebnis der Analyse eines vom Betreiber nach mehrfachen Mahnungen der Behörde am 14. November vorgelegten „Brandschutzkonzeptes“. Darin sei weder der „Totalverlust der im Druckabbausystem befindlichen Einrichtungen“ noch das Übergreifen eines Feuers im Maschinenhaus der Anlage auf das Reaktorgebäude ausgeschlossen worden. Angesichts des „Gefahrenpotentials für Leben und Gesundheit der Bürger“ habe die Behörde „keine Alternative“ zum vorläufigen Stillegen gesehen.

Jochimsens Sprecher Harald Wiese teilte auf Anfrage der taz mit, sein Ministerium habe mit der Preussen Elektra-Klage „überhaupt nicht gerechnet“. Am 15. Dezember habe man den Betreibern die Sicherheitsbedenken zunächst telefonisch mitgeteilt. Zu einer ebenfalls telefonisch vereinbarten Fachbesprechung am 18. Dezember seien die Preussen Elektra -Vertreter dann überraschend nicht erschienen. Auch der Termin einer förmlichen Anhörung, bei dem auch ein Vertreter des Bonner Töpfer-Ministeriums hinzugezogen worden wäre, sei von der Betreiberseite boykottiert worden. Nach Darstellung des Jochimsen-Sprechers reagierte der Stromkonzern statt dessen am 21.Dezember mit einer ersten Klage auf die Bedenken der Behörde und löste noch am selben Abend mit der Wiederinbetriebnahme des AKW die Stillegungsanordnung der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde aus.

Preussen Elektra nahm das AKW daraufhin vom Netz, schob aber noch am Heiligabend eine zweite Klage beim OVG Münster nach, um den Reaktor - bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache - weiterbetreiben zu können. Jochimsen -Sprecher Wiese rechnet mit einer Entscheidung über diesen „Eilantrag“ innerhalb einer oder weniger Wochen. Sein Ministerium sei überzeugt, streng „nach Recht und Gesetz“ gehandelt zu haben.

Nach Lesart der Preussen Elektra geht es in Würgassen „nicht um Sicherheit“. Eine Gefährdung durch den Weiterbetrieb der Anlage sei „in keiner Weise“ gegeben, heißt es in einer Firmenmitteilung. Tatsächlich hätten sowohl der TÜV als auch die Töpfersche Reaktorsicherheitskommission und die „Elektrowatt -Ingenieurunternehmung (EWI)“ dem mit insgesamt 500 Millionen DM nachgerüsteten Meiler eine ausreichende Schadensvorsorge attestiert. Das seinerzeitige Fazit der von der NRW-Landesregierung veranlaßten und im Oktober 1988 in einer Zusammenfassung veröffentlichten EWI-Studie wird allerdings in der Preussen Elektra-Erklärung souverän übergangen. Dort heißt es, daß für das AKW Würgassen „die erforderliche Schadensvorsorge gemäß dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik - wie sie für eine heute zu errichtende Neuanlage als Maßstab zugrundezulegen wäre nicht in allen Bereichen gegeben“ sei. „Maßnahmen zur Beseitigung der aufgezeigten Zustände“ seien „insbesondere für die Bereiche Brandschutz und Erdbeben mit Priorität zu realisieren“.