Spatzen in der Hand, lachend

„Der nackte Wahnsinn“ oder die fünfte Premiere im Schauspielhaus / Lachen als Medizin für's Bremer Theater?  ■  „Possen!!!“ Das Lieblings

schimpfwort von Ebenezar Scrooge in Charles Dickens berühmt -phantastischer Weihnachtsgeschichte (verfilmt unter anderemmit Dagobert Duck in der Titelrolle) geht mir nicht aus dem Kopf - angesichts der fünften Premiere des neuen Bremer Schauspiels, das uns mit einer Boulevard-Posse ins Neue Jahr schickt.

Vielleicht geht es mir deshalb nicht aus dem Kopf, weil so, wie Scrooge sein „Possen!!!“ intoniert, schon die ganze Verachtung von Geschwätzigkeit und Schnickschnack zum Ausdruck kommt und gleichzeitig die griesgrämig versteckte Sehnsucht

nach sinnloser Erbauung; vielleicht auch deshalb nicht, weil das Wort Possen schon viel zu nestroyig ist, um auf die seichte Schulter genommen zu werden. Vielleicht auch nicht, weil Boulevard-zur Derbkomik sich verhält wie das Feuerwerk zum Knallbonbon. In Michael Frayns Boulevard-Stück „Der nackte Wahnsinn“ - uraufgeführt 1981 in London - wird aus der Posse solch ein Knallbonbon; mit dem schießt man auf uns Publikumsspatzen. Darüber lachen wir Spatzen. So hat man wenigstens uns in der Hand, wenn schon keine Regie-Tauben auf dem Dach.

Also britisch-bremische Possen: Potzblitz, da geht die Post ab!

Und Türauf, Türzu, Türauf, Türzu. Zack. Der Inhalt ist da relativ unwichtig. Nur soviel: es geht um die weltunbewegende Frage, wie Schauspieler in Wirklichkeit sind. Also hinter der Bühne. Michael Frayn, britischer Journalist und Stückeschreiber, und das Bremer Theater lassen uns nun hinterkucken. Gefährlich, wegen etwaiger unbeabsichtigter Ähnlichkeiten. Die Kehrseite der Bühne übertrifft aber nicht unsere kühnsten Erwartungen. Denn haben wir das nicht geahnt, daß sie so sind, die Schauspieler: eitel, eifersüchtig, zornmütig, bäumchenwechseldich und eher schlecht als mittelmäßig?

Es beginnt mit dem ins Knallbonbonige changierende Bühnenbild (Florian Parbs): eine zweistöckige Wand-Tür-und Tapetenlandschaft in pistaziengrün-erdbeersahnerosa.

Auftritt mittelältliche und haushälterische Twinsetdame Dotty (Nancy Illig). Und wenn nicht Text und Requisiten wären, das wär‘ doch schon mal was. Tut ihr aber echt leid, daß sie eins von beiden immer vergißt, auch dem Regisseur, der sitzt im Publikum, das sind wir, wir spielen nämlich mit und werden freiwillige Zeugen der Generalprobe eines mittelmäßig schlechten englischen Tourneetheaters.

Das Stück im Stück handelt von

dem Stück, das sich hinter der Kulisse abspielt. Denn die Gruppendynamik einer Gruppe, erst recht einer Schauspieltruppe, ist geradezu dynamitisch. Schauspieler sind nämlich nicht nur auch Menschen, sondern in diesem Fall bis ins Leben hinein Knallchargen: Da spielen Garry (Lutz Herkenrath) und Brooke (Annegret Wagner) eine knallaufreizend Doofe und einen knallverklemmten Angestellten. Da sind Belinda (Barbara Klein) als Knallangweilige im Kostüm, und Frederick (John-Siegfried Mehnert), knalltypischer Kleinstadtgrößen-Mime, ansonsten gibt's u.a. noch einen knallgenervten Wehemantel-Regisseur (Michael Derda) und einen knallabgehalfterten Einbrecher (Kurt Ackermann).

Und was im ersten Akt bei der Generalprobe schon fast general schief geht, geht im zweiten schon fast general in die Hose, wo wir hinter das Bühnenbild sehen dürfen und Anteil nehmen am tumultuösen Mimen-Liebesleben. Im dritten Akt endlich sehen wir, wieder von vorne, was dabei rauskommen muß: Stück und Intrigen-Leben sind nicht mehr zu trennen. Resultat: Chaos, Improvisation und Wahnsinn.

Gut, das Türenknallen ist boulevard-notorisch gebongt. Aber Witzfiguren bleiben nun mal flach, wenn man sie als reine Abziehbilder inszeniert. Besonders, wenn nicht akribisch zu merken ist, worin Schauspieler hier und Knalltrüppchen da sich unterscheiden. Vielleicht liegt es mal wieder daran, daß auch den für diese Inszenierung vorgesehenen Regisseur das absurde Bremer Theater-„Schicksal“ ereilt hat: also weg vom Fenster. Der ursprüngliche Regisseur Matthias Masuth soll krank darniederliegen. Dietrich von Oertzen hat ihm die restliche Arbeit abgenommen. Vielleicht sollen wir uns jetzt kranklachen? Claudia Kohlhas