Neonazis oder „Rowdys“?

■ Mindestens 1.000 Neofaschisten in der DDR / Fehlen „lebendige Vorbilder“? / Angst vor den „Republikanern“

Die Zahl der Neonazis in der DDR steigt immer weiter. Bisher sind bei der Kriminalpolizei 1.100 Personen im Zusammenhang mit rechtsradikal motivierten Straftaten in Erscheinung getreten. Ein DDR-Wissenschaftlicher, der sich seit acht Jahren mit Neofaschismus beschäftigt, schätzt allerdings, daß die Zahl von 1.000 organisierten Neofaschisten von Anfang 1988 deutlich zugenommen habe. Der Forscher ist nach eigenen Angaben vom Honecker-Regime immer wieder in seiner Arbeit behindert worden. „Neofaschismus hatte es in der DDR nicht zu geben, und deshalb gab es diesen nicht. Das waren alles Rowdies und Asoziale“, heißt es in einem Interview mit der Ostberliner Zeitung 'Junge Welt‘. Der Experte will anonym bleiben, weil er sich vor Bedrohungen von Rechtsradikalen fürchtet.

„Die vergebliche Suche nach Idealen und lebendigen Vorbildern“ vor allem von Leuten zwischen 18 und 26 Jahren sei eine Hauptursache für neofaschistische Tendenzen. Neonazis würden sich aus allen Klassen und Schichten der Gesellschaft rekrutieren, die Hälfte komme aus der Arbeiterschaft und pflege „preußische Tugenden“. Fleiß, Ordnung und Disziplin mache sie zu „geachteten“ Arbeitskollegen, so der anonyme Wissenschaftler.

Die rechtsradikalen Randalierer suchen sich bevorzugt Opfer unter Punks (wegen ihrer „undeutschen Lebensweise“), „Grufties“, Homosexuellen, Ausländern dunkler Hautfarbe, Vietnamesen und Bürgern mit SED-Abzeichen. Ihre Parole: „Ausländer raus, Kommunisten an die Wand.“

Verstärkung sollen die jungen Braunen zunehmend aus der Bundesrepublik bekommen. Faschistisches Material und Flugblätter würden von ausgereisten DDR-Bürgern, die früher selbst zu Skinhead-Gruppen gehörten, oder über einreisende Besucher in die DDR gebracht. Der Experte hat eigenen Angaben nach auch Treffen zwischen Neonazis beider Länder beobachtet: „In einer (Ost-)Berliner Kneipe trafen sich an manchen Abenden bis zu 25 Westberliner aus der Skinhead bzw. Fascho-Szene mit Partnern von hier.“

Daß sich in der DDR nun auch „Republikaner“ gründen könnten, besorgt einen großen Teil der Bevölkerung, heißt es dazu in Kirchenkreisen und bei Oppositionellen.

taz