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Colonia Dignidad mordete Oppositionelle

■ Die zwielichtige deutsche Sekte arbeitete Hand in Hand mit chilenischem Geheimdienst DINA

Berlin (taz) - Mitglieder der Colonia Dignidad waren im Sommer 1975 aktiv an der Ermordung von zahlreichen „verschwundenen“ politischen Gefangenen beteiligt. Das behaupten die in Berlin erscheinenden 'Lateinamerika -Nachrichten‘ in ihrem Sonderheft „Colonia Dignidad“ vom Dezember 1989. Das Heft faßt die Ereignisse um die seit 1961 in Chile lebende deutsche Politsekte mit ihrer Muttergruppe in Siegburg zusammen.

Beihilfe zu Folter und Mord durch den chilenischen Geheimdienst und ein internes Terrorregime der kleinen Führungsgruppe gegenüber den anderen Sektenmitgliedern hatte man der Sekte seit Jahren vorgeworfen. Seit 1977 ist vor dem Bonner Landgericht außerdem ein Prozeß anhängig, der die Zusammenarbeit der Sekte mit dem chilenischen Geheimdienst DINA zum Gegenstand hat. Ein Ende des Prozesses, den die Sekte seinerzeit gegen amnesty international und den 'Stern‘ angestrengt hatte, ist nicht abzusehen. In dem neuen Sonderheft werden jetzt weitere Zeugenaussagen zitiert, nach denen der chilenische Geheimdienst DINA im Sommer 1975 unter Beteiligung und Anleitung von Sektenangehörigen in einem Außenlager der Sekte mit dem Namen „cerro gallo“ zahlreiche Regimegegner ermordet hat. Bis zum heutigen Tage ist das Schicksal Hunderter Menschen, die nach ihrer Verhaftung einfach „verschwanden“, ungeklärt.

Das Massaker am „cerro gallo“ im Sommer 1975 war durch eine Desinformationskampagne vorbereitet worden. Chilenische Zeitungen meldeten damals, daß sich Extremisten auf eine Invasion in Chile vorbereiten und schließlich auch die Grenze des Landes überschritten hätten. Daraufhin wurden die Garnisonen in Linares, Chillan, Talca und Curico alarmiert und Soldaten in die Colonia Dignidad gebracht, von wo sie, durch Infanteristen aus Santiago verstärkt, militärische Operationen durchführten. Die Operationen wurden nach Aussage eines wehrpflichtigen Soldaten, der dabei war, von den Deutschen geleitet, die bessere Waffen und eigene Uniformen hatten. Bei einer dieser Militäroperationen sind die wehrlosen Gefangenen in der Nähe des Berges Monte Maravilla nahe der Grenze zu Argentinien erschossen worden. Nach Aussage des Wehrpflichtigen sind neben den Deutschen aus der Colonia Dignidad die chilenischen Offiziere Cardemil und Aravela verantwortlich gewesen. Aravela war später der Leiter des staatlichen Zuckerunternehmens IANSA. Wieviele Verhaftet-„Verschwundene“ bei dem Massaker umgebracht worden sind, ist bisher ungeklärt. Um die Morde an den Gefangenen in der Colonia Dignidad und weitere Morde zu vertuschen, veröffentlichte die DINA im Juni 1975 eine Liste von 119 politischen Gegnern, die sich angeblich im Ausland umgebracht hätten.

Neben dem Bericht über das Massaker berichten die 'LN‘ über weitere Einzelheiten zum Komplex Colonia Dignidad. Die Haltung des Bonner Außenministeriums, Aktivitäten des Bundestages und die Arbeit einer Verwandtengruppe der Colonia-Dignidad-Angehörigen werden beschrieben. Das Heft berichtet außerdem ausführlich über die guten Kontakte der Sekte zu rechtsradikalen Kreisen in Chile und nennt auch Unterstützer in der BRD, z.B. den CSU-Bürgermeister von Rottach-Egern, Konrad Niedermaier.

Jürgen Karwelat

Das Heft kostet fünf DM und ist bei den 'Lateinamerika -Nachrichten‘, Gneisenaustr. 2, 1000 Berlin 61, zu erhalten.

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