Flüchtlingsprotest in Kirchen

Kirchen in Schweden aus Protest gegen Flüchtlingspolitik besetzt / Noch keine offizielle Reaktion  ■  Aus Stockholm Reinhard Wolff

Am Sonntag wurde in einer landesweiten Aktion in ganz Schweden eine Vielzahl von Kirchen durch Flüchtlinge besetzt. Meist direkt im Anschluß an den Neujahrsgottesdienst begannen die Besetzungsaktionen als Protest gegen die Verschärfung der Flüchtlingspolitik durch die Regierung unmittelbar vor Weihnachten (vgl. taz vom 15.12.1989).

Im Zentrum von Stockholm wurden zwei Kirchen von zunächst etwa 100 Flüchtlingen besetzt, deren Zahl sich im Laufe des Neujahrstages erhöhte. Etwa 50 Personen blieben auch die Nacht über in den Kirchen. Die Flüchtlinge bekundeten ihre Absicht, die Besetzungsaktion fortzusetzen, bis die Regierung ihren Beschluß über die Verschärfung der Asylregeln aufheben werde.

Der Gemeindepfarrer der besetzten Maria-Kirch in Stockholm, Sven Severin, erklärte sich solidarisch mit der Aktion der Flüchtlinge und versprach, die BesetzerInnen könnten so lange in seiner Kirche bleiben, wie sie dies wollten. Den Regierungsbeschluß, drei Viertel der bisher in Schweden anerkannten Asylsuchenden von einem Tag auf den anderen das Asyl zu verweigern, bezeichnete er als skandalös: „Es ist eines so reichen Landes wie Schweden unwürdig, Tausende von notleidenden Menschen einfach vor die Tür zu setzen.“

Auch von anderen Gemeinden, in denen Besetzungsaktionen stattfinden, werden Solidaritätserklärungen der Pfarrer und Kirchenvorstände gemeldet. Seitens der Flüchtlinge wurde auch ausdrücklich erklärt, nur die Kirchen besetzt zu halten, in denen sie willkommen seien.

Initiatoren der Protestaktionen sind fast alle schwedischen Flüchtlings- und Flüchtlingshilfsorganisationen. Neben Flüchtlingen selbst haben sich auch viele SchwedInnen an den Besetzungsaktionen beteiligt. Die Mehrzahl der die Aktion tragenden Organisationen will nun die - noch ausstehenden ersten Reaktionen der Regierung abwarten. Nach dem Regierungsbeschluß, der von vielen ParlamentarierInnen bereits als „Handstreich“ der Regierung bezeichnet worden ist - selbst die Fraktion der regierenden Arbeiterpartei war völlig überrascht worden - kamen aus praktisch allen Parteien kritische Stimmen. Demgegenüber hatte sich die Einwandererministerin bislang auf ein „bitter, aber notwendig und nur zeitweilig“ beschränkt. Am morgigen Donnerstag soll in der Stockholmer Maria-Kirch eine größere Protestveranstaltung stattfinden, zu der auch verschiedene Künstler und Vertreter aller im Reichstag vertretenen Parteien eingeladen sind.