Vobo-Aktivistin muß nicht ins Gefängnis

Amtsgericht Herford verurteilte Volkszählungsgegnerin zu sechs Monaten Beugehaft / In letzter Sekunde Amnestie für die 77jährige / Sie hatte jegliche Auskünfte verweigert und wollte sich auf das „Sonderangebot Bußgeld“ nicht einlassen  ■  Von Olivier Lücke

Hiddenhausen (taz) - Das wohl spektakulärste Opfer der Volkszählung von 1987 sollte sie werden: Eva Bormann, 77jährige Pfarrerswitwe und engagierte Friedenskämpferin aus einem kleinen Städtchen im Kreis Herford, hatte sich vor zweieinhalb Jahren der Zählung verweigert und war auch in den darauffolgenden Auseinandersetzungen mit Landesstatistikern aus Hannover standhaft geblieben. Sechs Monate Beugehaft sollte sie jetzt dafür im Essener Frauengefängnis absitzen. Dieses Urteil erging im Dezember vom Amtsgericht Herford gegen sie, Haftverschonung wurde noch bis Jahresende gewährt, am ersten Januar sollte sie sich zum Abtransport bereithalten. Doch dann kam in letztem Moment alles doch ganz anders.

„Ich widersetze mich der umfassenden Datenerfassung, die zwar harmlos aussieht, deren Absichten und Auswirkungen aber durchschaubar sind. Es könnte ein Teil perfekter Kriegsvorbereitung sein.“ Diese Zeilen vom Juni '87 an die Gemeinde Baddeckerstedt im Landkreis Wolfenbüttel, wo Eva Bormann damals lebte, erregten das Mißfallen der Zähler. Wegen Auskunftsverweigerung erhob der Gemeindedirektor 400 Mark Zwangsgeld gegen die Boykotteurin. Nach ihrem Widerspruch wurde dieses um 200 Mark erhöht und von ihrer Witwenrente gepfändet.

Als sie auch den ihr zugeschickten zweiten Fragebogen nicht ausfüllte, wurden ihr im Dezember 1987 bis zu 10.000 Mark Bußgeld angedroht. „Dann sind sie jedoch auf 225 Mark Bußgeld runtergegangen, doch auf so ein Sonderangebot gehe ich nicht ein. Mit solchen Billigangeboten will der Staat schwächliche Menschen erziehen und sie erpreßbar machen“, sagt die 77jährige.

Im Dezember '89 folgte dann das Urteil im Prozeß wegen Volkszählungsverweigerung. Die sechs Monate „Beugungshaft“, die das Herforder Amtsgericht verhängte, um einen Offenbarungseid zu erzwingen, konnten die Pfarrerswitwe jedoch auch nicht schrecken: „Die 225 Mark kann ich bezahlen, ein Offenbarungseid wäre deswegen ja ein Meineid.“ Aber zahlen wollte Eva Bormann aus Prinzip nicht, und so drohte die Haft. „Ich habe auch keine Angst vor dem Gefängnis. Mein Mann war Strafvollzugspfarrer, ich kenne die Atmosphäre, die dort herrscht, vielleicht kann ich da noch etwas lernen.“

Warum der Staat gerade auf sie ein so scharfes Auge geworfen hatte, konnte sich Eva Bormann nicht recht erklären. „Vielleicht, weil ich während des gesamten Briefverkehrs mit den Behörden immer einen Aufkleber Atomwaffen, schon der Besitz ist ein Verbrechen - auf den Umschlag klebte. Andere Mitarbeiter des von Eva Bormann mitgestalteten „Friedenskotten Lippinghausen“, die auch die Zählung boykottiert hatten, blieben vom Staat unbehelligt.

Die Haftandrohung sorgte schließlich für Proteste und Berichte in der Lokalzeitung. Freunde Eva Bormanns planten Demonstrationen sowie andere Maßnahmen. Die Witwe betonte jedoch immer wieder: „Ich will keinen Sensationsklüngel um meine Person, eine inhaltliche Argumentation ist mir wichtig, wenn mein Verhalten anderen Menschen die Augen öffnet, bin ich zufrieden.“

Ob wegen des Rummels oder wegen ihres Alters, die hannoverschen Volkszähler bekamen kalte Füße und beeilten sich zum letztmöglichen Termin im alten Jahr, am 29.Dezember, eine Amnestie auszusprechen. Eva Bormann hat diese Nachricht gelassen aufgenommen: „Ich bin froh, daß ich nicht ins Gefängnis muß, besonders auch wegen der befreundeten Friedenskämpfer, die jetzt keine Aktionen wegen mir machen brauchen.“ Auf die Gründe, warum das Urteil gegen sie nicht vollstreckt wurde, ist sie jedoch sehr gespannt. „Wenn die mich nur deswegen nicht einsperren, weil ich zu alt sein soll, reicht mir das nicht als Begründung. Ich will eine inhaltliche Auseinandersetzung mit meiner Verweigerung.“ Ziel ihres nächsten Engagements soll eine Bundesrepublik ohne Armee sein.

Olvier Lücke