: Das Verschwinden des Antiimperialismus
Mit der US-Intervention sind nicht nur Kasernen und Wohnhäuser zerstört worden. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man durch die Straßenzüge spaziert, die noch immer durch Stacheldrahtverhaue unterbrochen sind, und unbeobachtet von den heiteren Blicken einfältiger GIs mit jenen Leuten plaudert, die vor vierzehn Tagen Augenzeugen einer der brutalsten Gewaltakte der amerikanischen Geschichte geworden sind.
Es scheint, als ob in der Nacht vom 19. auf den 20. Dezember aus den Köpfen der überwiegenden Mehrzahl der Panamaer eine ganze politische Weltsicht verschwunden wäre, die zwanzig Jahre hindurch im Kampf der lateinamerikanischen Völker gegen das US-Imperium und in der nationalen Selbstbestimmung ihr Ziel erblickt hatte.
Plötzlich stehen die ausländischen Besatzer mit ihrem grotesken Gehabe und ihren an Völkermord grenzenden Methoden selbst vor den Augen der in Mitleidenschaft gezogenen Bevölkerung der Armenviertel als „Befreier“ da. Selbst die ärgsten Exzesse werden mit dem alten Spruch gerechtfertigt, nach dem der Zweck eben die Mittel heilige. Wohl selten klafften in der Zeitgeschichte Lateinamerikas die subjektiven Meinungen und die objektiven Tatsachen so sehr auseinander wie im Fall Panamas. Warum?
Offensichtlich ist es den US-Kriegern gelungen, ihren Coup von Grenada zu wiederholen und die Frucht einer langjährigen Entwicklung gerade zu jenem Zeitpunkt zu zertrampeln, in dem sie innerlich und äußerlich ohnedies bereits zu vermodern drohte. Schon seit einiger Zeit hatte die Fäulnis von Manuel Antonio Noriega den guten Kern vernichtet, der im Oktober 1968 mit der Machtergreifung von General Omar Torrijos entstanden war.
Damals hatte eine Gruppe von „jungen Offizieren“ unter der Führung des charismatischen Caudillos begonnen, die antiquierten, auf nationalem Großgrundbessitz und nordamerikanischen Großunternehmungen aufgebauten Gesellschaftsstrukturen umzukrempeln. Daß diese „Revolution von oben“ ähnlich wie im peronistischen Argentinien und im Peru des Generals Velasco Alvarado 1968 die damaligen Volksbewegungen undemokratisch aufsog oder kurzerhand liquidierte, kümmerte die Mehrzahl der Panamaer damals ebensowenig wie die Linksliberalen, die bald die reformfreudigen Militärs als Rezeptlösung für ganz Lateinamerika anboten.
Tatsächlich gab es eine Reihe von Neuerungen, die den unteren Schichten der Bevölkerung zugute kamen: das Recht, die brachliegenden Ländereien im Landesinnern in sogenannten asentamientos campesinos kollektiv zu bewirtschaften, oder die begrenzte politische Mitbestimmung der Gewerkschaften und Studentenorganisationen. Die überwiegende Mehrzahl der Panamaer, ob arm oder reich, unterstützten ihren Führer jedenfalls, sofern es um die Überführung des Panamakanals in eine recht allgemein formulierte „nationale Souveränität“ ging. Sie merkten deshalb auch nicht, wie sehr diese Souveränität im Laufe der Verhandlungen um die Torrijos-Carter-Verträge über die Nutzungsrechte des Kanals bereits ausgehöhlt wurde.
Trotzdem blieb aber zumindest die Idee eines antiimperialistischen Nationalismus in Panama lebendig, denn Torrijos spielte über die Grenzen seines Landes hinaus eine wichtige Vermittlerrolle bei den Revolutionsprozessen in Nicaragua und El Salvador. Vermutlich kostete ihn letztere auch das Leben, als die CIA im Juli 1981 sein Flugzeug abstürzen ließ. Die bereits im Amt befindliche Reagan -Administration in den Vereinigten Staaten spekulierte offensichtlich damit, das für ganz Zentralamerika so wichtige Problem Panama über die Nachfolgefrage lösen zu können.
Denn bereits unter CIA-Chef George Bush hatte die US -Regierung im Leiter des Geheimdienstes der panamaischen Nationalgarde Manuel Antonio Noriega einen wertvollen Verbündeten gewonnen, den sie dann 1983 auch prompt dazu brachte, sich gegen seine beiden Rivalen Diaz Herrera und Paredes durchzusetzen. Noriega schien ihnen als geschäftstüchtiger Mafiaboß weitaus besser geeignet, die Interessen der Vereinigten Staaten umzusetzen.
So verwandelte der schlaue pockennarbige Drogenhändler also auch die „torrijistische Bewegung“ in ein Art politisches Großunternehmen, in dem jeder unterkommen konnte, der bereit war, sein Gewissen zu verkaufen. Wer das nicht tat, wie der junge Arzt Hugo Spadafora, der sich zuerst mit den Sandinisten und dann aus innerer Überzeugung mit Eden Pastora eingelassen hatte, wurde kaltblütig und auf grausame Weise umgebracht.
Die Gründe für den Bruch mit Washington sind bis heute nicht geklärt: War es die Absetzung des US-freundlichen Präsidenten Nicolas Ardito Barletta 1985 wegen dessen Kritik am Spadafora-Mord durch Noriega, oder aber, daß er sich geweigert hatte, eine geplante US-Intervention in Nicaragua zu unterstützen?
Fest steht jedenfalls, daß die torrijistische Bewegung, eben weil sie von ihren Ursprüngen an auf eine Führerfigur fixiert war, zusehends zu einer Partei wurde, in der ambitionierte Aufsteiger das Sagen hatten. Ihre hierarchische Form ersetzte allmählich die Inhalte, was schließlich dazu führte, daß sich die Basis spätestens bei den letzten Präsidentschaftwahlen am 7. Mai 1989 von der Führung abwendete. Was blieb, war der reine Machtkampf zwischen den USA und Noriega, der jetzt militärisch ausgetragen wurde.
Leo Gabriel
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