: Havels Blitzbesuch in den Deutschländern
■ Die erste Auslandsreise führte den CSSR-Staatspräsidenten im Sauseschritt durch Deutschland Ost und West / „In Deutschland treffen sich die Probleme Europas“
Ost-Berlin/München (taz) - „Sehr kurz“ sei er zwar gewesen, aber dafür auch „sehr wichtig“, kommentierte der gerade vier Tage amtierende tschechoslowakische Präsident Vaclac Havel gestern seinen allerersten Staatsbesuch. Auf dem Dienstplan des zum Regierungschef verwandelten Bürgerrechtlers stand gleich zweimal Deutschland: Am Morgen waren Havel und seine Begleiter zur Staatsvisite in der DDR gelandet. Am Nachmittag bereiteten ihm Hunderte von Tschechoslowaken und Deutschen in München einen begeisterten Empfang.
Im Sauseschritt hatte Havel morgens Gespräche mit dem Staatsratsvorsitzenden Gerlach und Ministerpräsident Modrow absolviert und noch einen Blitzbesuch am Brandenburger Tor und einen Kurzplausch mit Vertretern des runden Tisches eingeschoben. Bei seinem Besuch der Mauer streichelte Havel schnell noch einmal über den inzwischen arg malträtierten Beton und knüpfte lachend „in einer neuen Zeit, in einem neuen Zusammenhang“ an den unvergessenen alten Satz eines ehemaligen US-Kollegen an: „Auch ich bin ein Berliner.“
Mittags dann traf der von einem Fotografentroß umringte Staatsgast Bundespräsident Weizsäcker, Kanzler Kohl und Außenminister Genscher in München. Auch hier hatte Havel, der in Schlips und Anzug gesteckt immer noch wie verkleidet aussieht, das Besuchspro gramm umgemodelt. Schnell hatte er dafür gesorgt, daß es auch zu Treffen mit Vertretern der Oppositionsparteien, mit Hans-Jochen Vogel von der SPD und Antje Vollmer sowie Ralf Fücks vom Grünen-Bundesvorstand kam. Kohl sprach von einem „Neuanfang“ in den Beziehungen zur CSSR.
Daß ihn sein erster Staatsbesuch in die beiden Deutschländer führte, war weniger sachlichen politischen Notwendigkeiten geschuldet, und so gab es zumindest am Ende des Blitzbesuches in der DDR keinerlei konkrete Ergebnisse vorzuweisen. Seine Reise habe vor allem symbolische Bedeutung, erklärte Havel in Ost-Berlin vor Journalisten: „Das deutsche Volk umgibt uns in einem großen Teil unserer Grenzen. Es ist unser größter und wichtigster Nachbar.“ In Deutschland träfen sich die Probleme Europas. Auf die Fragen der Journalisten, mit welchen Gefühlen er ein Zusammenwachsen, sprich eine Konföderation, der beiden großen Nachbarstaaten betrachte, antwortete der frischgewählte tschechoslowakische Staats Fortsetzung Seite 2
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präsident vorsichtig, aber dennoch klar: Er und seine Freunde von der Charta 77 hätten schon immer gesagt, daß sie sich nur schwer ein Europa ohne Mauern vorstellen könnten ohne eine Beseitigung der Mauer durch Deutschland. Allerdings seien die Probleme Europas und die Deutschlands „zwei Seiten einer Münze“. In welcher Weise die beiden deutschen Staaten den Prozeß einer Konföderation betreiben, sei allein deren Sache. Doch auch wenn er hoffe, daß dieser Prozeß schnell vor sich gehe, müßten vorher „manche bedeutende Bedingungen erfüllt sein“, erläuterte Havel. Als erstes müßten auf „beiden Seiten die Emotionen einigermaßen beruhigt sein“. Dann könne ein deutscher Einigungsprozeß nur als gesamteuropäischer Prozeß stattfinden, „aufgrund von Verhandlungen und nicht wild“. Und drittens müßte es den Deutschen zuvor gelingen, „manche Nachbarn von der Angst vor einem großen Deutschland zu befreien.“ Für ihn, so Havel, sei das
demokratische Bewußtsein eines Staates entscheidend. „Vor einem friedliebenden und demokratischen Staat brauchen wir keine Angst zu haben, der kann so groß sein wie er will“, sprach der Staatsgast und erntete zum Abschied von einzelnen Journalisten spontanen Applaus. Ob sein Besuch auch eine Versöhnungsgeste gegenüber einer DDR sein sollte, die dem großen Bruder Sowjetunion einst bei der Niederschlagung des Prager Frühlings unrühmliche Schützenhilfe geleistet hatte, darüber verloren Havel und sein Gastgeber Gerlach kein Wort. Dafür konnte Gerlach bekanntgeben, daß noch in diesem Jahr Havels Bücher in einem DDR-Verlag erscheinen werden. Zur künftigen Form der Grenze zur BRD meinte Gerlach, man könne sie sich wie jede andere Grenzmarkierung auch vorstellen.
Fast zeitgleich mit Havel und am selben Ort konnte gestern noch ein anderer seine DDR-Premiere der Presse vorstellen. Im Ostberliner Pressezentrum saß, so ein davorstehender Vopo, „ein gewisser Herr Lindenberg“ und präsentierte sein Tournee durchs ehemalige Honni-Land.
Vera Gaserow
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