Kunststoff statt Bronze

■ Skulpturen und Grafiken von Vincent Kressmann in der GaDeWe

Die „Revolution“ ist eine wacklige Angelegenheit. Auf äußerst schmaler Basis erhebt sie sich in solch schwindelnde Höhen, daß die kleine Gestalt an der Spitze zumindest Gleichgewichtsprobleme bekommt. Fast gequält beugt sich die kleine Bronzefigur vornüber, doch die Distanz zur

Basis ist bereits zu groß: der Sturz wird ein tiefer sein.

Vielleicht eine etwas eigenwillige Interpretation einer ebenso eigenwilligen Skulptur. In einen stehenden, rohen Bauholzpfahl ist eine Eisenstange getrieben. An ihrem oberen Ende durchbohrt sie einen Brocken Straßenasphalt, über dem sie zur figurähnlichen Bronze mutiert.

Vincent Kressmanns Skulpturen, Holzschnitte, Radierungen und Zeichnungen, die noch bis zum 18.1. in der GaDeWe (Galerie des Westens) gezeigt werden, reizen zum gedanklichen Bilderfinden beim Betrachten. Alles ist nur angedeutet, bewußt reduziert auf Formen, die zu kreativer Mitgestaltung herausfordern: Was ich als Figur sehe, ist nichts als ein fingerlanger, in Bronze abgegossener Tonklumpen, mit flinken Fingern geknetet. Ich denke an Giacometti.

Auf den ersten Blick wirkt der Ausstellungsraum spärlich bestückt, die einzelnen Arbeiten sind klein und scheinbar in traditionellen Techniken gearbeitet. Unscheinbare Bronzewülste, wie abgegossene Fundstücke langer Waldspaziergänge, werden zu informellen Formen und Figuren, „das Ich und sein Nest“. Doch da entpuppt sich eine Plastik, die in

ihrer strunkartigen Form vorschnell als Bronzeabguß einer Baumwurzel gesehen wurde, als patinierter und bemalter Kunststoff. Versucht Kressmann in dieser Mimikry das wahre Material noch zu verschleiern, zumindest den Betrachter zu irritieren - die „Passage“ ist auf Bestellung in Bronze lieferbar - so zeigen andere Arbeiten, daß es gerade der Kunststoff ist, der seinen Arbeiten eine ganz eigene Qualität verleiht.

Wülste aus Zeitungspapier werden mit Zellophan umwickelt, die Form erinnert an einen unter einen LKW geratenen Fahrradreifen. Die alte Technik des Holzschnitts findet eine zeitgemäße Variation, wenn Kressmann „Die wütende Unterhaltung“ auf transparentes Plastik druckt, in das er gleich noch ein paar französische Münzen walzt. Was ist schon Bronze im Vergleich zu Kunststoff?

Kressmann, Jahrgang '62, lebt in Paris. 1988 brachte ihn ein Auslandsstipendium nach Bremen, eine erste Ausstellung hier fand im Frühjahr letzten Jahres im Schlachthof statt. Achim Könnek

Reuterstraße 9-17, Bremen, geöffnet Di und Fr 9-13, 15-19 Uhr, Do 10-18 Uhr, So 11-14 Uhr