NACH MOSKAU!

■ Porträt des Unternehmers als guter Mensch: Dietrich Bahner, Wiederholungs-Wohltäter

Der Ehrgeiz dieses guten Menschen gleicht dem des Knaben im adretten Matrosenanzug, der Sandburgen baut am Strand von Westerland, mit bunten Wimpeln und Fähnchen obenauf, damit das fragile Gebäude strahlender und größer wird als alle anderen. Und ist die erste Zinne zusammengestürzt, beißt der kleine Baumeister die Zähne zusammen, wechselt den Standort und fängt von vorne an, ganz schnell und emsig.

Das vorweihnachtliche Herz schlug dem reichen Mann höher und er wollte wieder einmal Gutes tun. Bibelfest war der 50jährige Dietrich Bahner schon immer, und so machte er sich Anfang Dezember auf, die Speisung der Zehntausend zu zelebrieren, den Armen zur Freude und zur wohltätigen Ehr‘ der eigenen Person. Die Idee war schlicht, schnell geboren und teuer. Viel Platz mußte her und in fünf Schichten a 2.000 sollten jene zu einem ordentlichen Mahl kommen, denen das Leben übers Jahr wenig Glück beschert: einsame Alte, Kinder, Menschen von drüben, Ausländer und Obdachlose.

Der gute Mensch griff zum Telefon und orderte bei der AMK eine Halle auf dem Messegelände unter dem Funkturm, mit Essen, tannengrünen Tischen, ordentlichem Personal und musikalischer Unterhaltung. Das messeerprobte Profi -Unternehmen war aber dem Bahner'schen Tempo nicht gewachsen, innerhalb von acht Tagen war so viel Großes nicht mehr zu organisieren. Und so wurden aus den Zehn- nur noch schlappe Zweitausend zu Speisende, von den fünf Durchgängen blieben drei.

Am 15. Dezember ist es schließlich soweit, um 10 Uhr früh öffnen sich die Tore der Halle 18, um den ersten Massenansturm an die porzellangedeckten Tische zu Gulasch, Hühnerfrikassee und Salatbeilage zu bitten. Mehr als tausend Teller warten vor einer eigens errichteten Bühne, bestückt mit modernster Beschallung. Nicht schlecht aber staunen Kellner, Serviererinnen, Wachpersonal und Klofrauen, als die ersten, wenigen Gäste sich zögerlich an den langen Tischen niederlassen: nicht einmal Zweihundert sind gekommen, die rund 4.000 qm zu bevölkern. Doch die Show geht weiter.

„Hallo Freunde“, DDR-Schlagersängerin Regina Thoss begrüßt von der Bühne die Wenigen, „Hallo Regina“ ruft es dünn zurück. Das Essen geht runter, die Musik spielt dazu. Gegen 14 Uhr ist das erste Mahl vorüber, mehr als achthundert Salatteller wandern in den Müll, Frikassee und Gulasch werden wieder eingefroren für den nächsten Auftrag. Im schnellen Wechsel kommt das Kaffeegeschirr auf den Tisch, dazu Käse- und Streuselkuchen vom Blech. Die Zahl der neuen Gästefuhre ist noch geringer als zur Mittagszeit, vielleicht siebzig sind es diesmal. Und die Musik ist auch eine andere, Queen Jahna versucht's mit Gospel-Stimmung. Der Flop ist nicht mehr aufzuhalten, für die verbliebenen Berge von Kuchenresten behält sich Wohltäter Bahner vor, sie mit nach Hause zu nehmen, schließlich hat er dafür bezahlt.

Der Abend soll der Höhepunkt sein, mit Musik, Würstchen und Alkoholika ein großes Fest für alle Ausländer in der Stadt. Aber gegen 20 Uhr ist endgültig klar, den spendablen Ruf hat niemand gehört, die wenigen Verlorenen in der Halle sind ein paar wackere Restgäste vom Mittag und Nachmittag. Dafür läßt sich der Wohltäter selbst blicken, nippt ein wenig am Wein und plaudert konziliant mit dem Reinigungspersonal. Runde Hunderttausend hat die mildtätige Gabe gekostet, der gute Wille war da.

Die Weihnachtsschlappe steckt der Berliner Unternehmer Dietrich Bahner, Ex-CDU-Abgeordneter von 1975-79 im Abgeordnetenhaus und anschließend bis zu den Wahlen 1983 Berliner Abgeordneter im Deutschen Bundestag, nichts wie weg. Denn Geld spielt für den umtriebigen Helfer keine Rolle. Er enstammt einer alten Industriellenfamilie, sein Großvater gründete die Strumpffabrik Elbeo-Bahner, und sein Vater besorgte dem Strumpfimperium das nötige Schuhwerk, 1934 übernahm er die Berliner Schuhfabrik Leiser. In den wirtschaftswunderlichen Fünfzigern kamen noch die Dorndorf -Schuhwerke hinzu, und heute gehören zum Unternehmen Leiser, Stiller, Schuh-Neumann und der Schuhhof. Neben den unternehmerischen Erfolgen betätigte sich der Vater auch als rechter Querkopf in der Politik. Bis 1970 war er Mitglied der F.D.P., der er ob ihres linksliberalen Kurses dann den Rücke kehrte, um sich der Gründung der „Deutschen Union“ zu widmen. Daneben machte er 1975 erneut von sich reden, als sich unter seiner Führung neun bürgerlich-konservative Splittergruppen zur „Aktionsgemeinschaft Vierte Partei“ zusammenschlossen. Doch das Ziel der AVP, die Politik der CSU bundesweit zu vertreten und dadurch der Union zum Wahlsieg über die sozialliberale Koalition zu verhelfen, stieß auf geringes Interesse der bayerischen Strauß-Partei. Die mangelnde Schützenhilfe aus München verhinderte schließlich, daß die AVP zu den Bundestagswahlen zugelassen wurde.

Mindestens ebenso wechselvoll verlief bislang die politische Karriere des Sohnes Dietrich. Lange Jahre war der CDU-Politiker Vorsitzender seiner Partei im Bezirk Wedding, und die sensationellen Stimmengewinne für die Christdemokraten bei den Wahlen 1981 im traditionellen Arbeiter-Bezirk waren vor allem ihm zu danken. Sechs Monate vor den Parlamentswahlen 1985 schmiß Bahner aber das Handtuch und verließ seine Partei. Zum letzten Streit mit seinen Parteikollegen war es gekommen, als Bahner das Wahlkampfkonzept der CDU nicht mittragen wollte. Er hatte sich zur PR-Arbeit im eigenen Bezirk vorgenommen, nicht nur auf jede Plakatwerbung zu verzichten, sondern auch keine Farbbroschüren zu verteilen und Wahlwerbung lediglich mit schwarzweißen Werbezetteln zu betreiben. Die Einsparungen von rund 50.000 DM wollte Bahner in Not geratenen älteren Bürgern zur Verfügung stellen. Da wollte die luxurierende Wohlstandspartei nicht mitziehen und Bahner mußte gehen.

Doch schon im November 1984 trieb es den graumelierten Unternehmer wieder ins politische Rampenlicht. Auf ganzseitigen Anzeigen in der lokalen Presse lud er alle Berlinerinnen und Berliner ein, „als Berufstätige ihren Sachverstand für Abgeordnetenhaus oder Bezirksverordneten -Versammlung und damit für Berlin zur Verfügung zu stellen“, natürlich unter seiner Führung in eigener Partei, der „Demokratischen Alternative/ Für Umweltschutz, Steuerzahler und Arbeitsplätze“ (DA/USA). Unter dem Symbol der neuen Partei - eine schwarz-weiße preußische Fahne („Das steht für Rückbesinnung auf preußische Tugenden“, so Bahner damals), mit einem weißen Kreuz auf dem schwarzen Teil („Für den Kreuzzug zur Wiedereinführung von Moral und Glaubwürdigkeit in die deutsche Politik“) und einer weißen Rose („Für die Widerstandsbewegung der Geschwister Scholl und als Blume für den Umweltschutz“) - stellte der Ehrgeizige sich am 15. November in der Deutschlandhalle den Wählern vor. Für zwei Mark Eintritt bekamen die knapp 3000 einiges geboten: Wasserfall und Vogelgezwitscher von der Filmleinwand, Latschenkieferduft in der Hallenluft und Deutschstars auf der Bühne: Harald Juhnke, Billy Mo, Gunter Gabriel und Heidi Brühl. Doch die Investition lohnte nicht, bei den Wahlen im März 1985 gab es gerade mal 1,3 Prozent der Stimmen für die 120 Mitglieder zählende Partei, 13 Vorstandsmitglieder inclusive.

Der politische Mißerfolg hielt Bahner aber nicht ab, nebenher mild und wohltätig immer wieder das Gute zu versuchen. Schon 1981 gründete er den Verein „Berlin hilft“ der besonders Projekte in der Dritten Welt unterstützen sollte. Hinzu kam 1984 der Verein „Berliner helfen Berlinern - Bürger helfen Bürgern“, laut Satzung verpflichtet, „unschuldig in Not Geratenen“ Beistand zu geben. Den letzten Schock gab dem großen Herzen schließlich der 9. November 1989. Flugs gründete Bahner wieder einen Verein, ganz bescheiden im Nobel-Hotel Steigenberger und wohlklingend im Namen: „Europäische Friedens-Initiative - Deutsche für Deutsche“, versehen mit einem Startkapital von 2 Millionen aus eigener Tasche. Die Speisung der Zehntausend sollte das erste Werk des neuen Vereins sein, darauf folgten - noch im Dezember - eine Ladung medizinischer Hilfsgüter samt Rettungswagen-Konvoi als Weihnachtsgeschenk für Ost-Berlin und Dresden. Auch eine Taxi-Staffel für Leipzig orderte der Vereinsvorsitzende noch vor Weihnachten, gefüllt mit Sachspenden und Weihnachtsgeschenken der Berliner Bevölkerung, „der Stadt Leipzig als Dank für die historische Tat“. Ob der gewohnt übereilten Vorbereitung und chaotischen Organisation - siehe Speisung der Zehntausend - wurden zwar in den Taxen oft „nicht mehr als Berliner Luft“, so ein beteiligter Fahrer, nach Leipzig befördert, doch die gute Idee sollte wieder richtungsweisend sein.

Gestern zur Mittagsstunde nun präsentierte Dietrich Bahner vor „hochkarätigen Pressefreunden aus der UdSSR, der DDR und natürlich aus dem Westen“, flankiert vom sowjetischen Generalkonsul in Berlin, im kronleuchtenden Saal A des Steigenberger-Hotels seinen neuesten wohltätigen Coup: „Dank und Unterstützung für Gorbi“. Heute nachmittag um 16 Uhr ab Dreilinden soll ein Fahrzeug-Konvoi - Trucks, Ambulanzfahrzeuge, Transporter, Pritschenwagen und Taxen gefüllt mit Arzneimitteln, medizinischer Ausrüstung, Nahrungsmitteln und Spielzeug sich in Richtung Moskau bewegen, als Geschenk für das bevorstehende russische Weihnachtsfest an die sowjetische Bevölkerung. Der Konvoi soll den Anfang einer großangelegten Hilfsaktion bilden, die sich über das ganze Jahr erstrecken wird, so jedenfalls verspricht Bahner. Die medizinischen Spenden kommen von verschiedenen Firmen, die „natürlich nicht genannt sein wollen“, Spielzeug und Lebensmittel („Aus jeder Berliner Speisekammer nur eine Plastiktüte, mehr ist nicht nötig. Und für das Fleisch gibt es auch einen Kühlwagen“), fließen aus eiligst ausgerufenen Straßensammlungen gestern und heute vormittag in der Innenstadt.

„Seitdem ich nicht mehr politisch tätig bin - ich bin aus der Partei ausgetreten, nicht, weil ich ihr böse war - kann ich überparteilich und als Unternehmer viel effektiver tätig sein, und es macht viel mehr Freude, die Ergebnisse am Ende des Jahres zu sehen“, so beschreibt der gute Mensch die Beweggründe für sein neues Tun, „und ich fühle mich voll in meinem Element bei diesen Aktionen, die von Herzen kommen.“ Und sein Herz schlägt derweil vor allem für Michail Gorbatschow, den, wie er meint, „Vater der Maueröffnung und den Vater aller Freiheitsbewegungen im Ostblock. Deshalb ist die ganze freiheitsliebende Welt Gorbatschow zu großem Dank verpflichtet, und ich wage an der Erkenntniskraft des Nobelpreis-Komitees zu zweifeln, wenn der nächste Friedensnobelpreis nicht an Gorbatschow geht.“

Natürlich würde es Bahner am liebsten sehen, wenn Gorbatschow himself seine Geschenkladung am 7. Januar in Moskau in Empfang nehmen würde, doch da bescheidet er sich lieber und lenkt seinen Ehrgeiz auf irdischere Unterfangen: Natürlich soll die neue Aktion sich ausweiten „zur größten Spendenaktion der Welt“, und natürlich will er seinen Troß gen Moskau nicht wie vorhergesagt in vier, sondern in zwei Tagen schaffen, „da könnten wir nebenbei noch ins Guiness -Buch der Rekorde kommen, es sei denn General Winter überrascht uns unterwegs.“ Außerdem will er dafür sorgen, daß die Berliner Senatsreserve aufgelöst wird und alle dort gelagerten Lebensmittel im Gesamtwert von 1,6 Miliarden Mark auch als Geschenk nach Moskau gehen: „Ich bin von einigen Politikern gebeten worden, mit meiner erfrischenden Hemdsärmeligkeit mal bei Helmut Kohl - da sehe ich überhaupt keine Schwierigkeit - und bei den alliierten Freunden deswegen vorzusprechen.“

Im vollen Mund hat das Detail wieder einmal keinen Platz, der Elan der guten Tat drängt das Handliche zurück. Auf die Frage, wer denn in der kurzen Zeit überhaupt gespendet habe, mag Bahner gar nicht antworten, da sei er noch uninformiert. Genauso uninformiert ist er darüber, wer ihn in Moskau eigentlich erwartet - „Diese Frage ist an den Rand getreten“ - und der sowjetische Generalkonsul muß ihm aus der Patsche helfen: „Auf jeden Fall wird der Empfang des Konvois in Moskau vom Roten Kreuz technisch betreut“. Und wieder dankt Bahner mit großen Kinderaugen den „sowjetischen Freunden für die schnelle und unbürokratische Hilfe. Denn die Bürokratie ist der Todfeind jeder Menschlichkeit, jeder sozialer Bemühungen und jeder erfolgreicher Wirtschaftsgebaren, im Osten wie im Westen.“

Und während im Saal die „Weltpresse“ zum Abschluß bewirtet wird mit Soljanka und russischer Folklore in bunten Kitteln mit Balaleika, haben sich vor der Tür einige Taxifahrer eingefunden, die dem Aufruf ihrer Innung gefolgt sind und gerne die Moskau-Fuhre übernehmen würden. Da wären nur noch ein paar Fragen, von wegen der Organisation und für's Kleinteilige der großen Aufgabe. Doch die wird - ganz im Bahnerschen Sinne - die Geschichte beantworten.

Elmar Kraushaar