„Der Senat hat den juristischen Spielraum nicht genutzt“

Der untergetauchte Gerhard Scherer über Senatspolitik mit den Totalverweigerern, den juristischen Streit um den entmilitarisierten Status und die Totalverweigerer im Osten / „Das ist die Aufweichung der alliierten Bestimmungen, die jetzt plötzlich für Totalverweigerer nicht mehr gelten sollen“  ■ I N T E R V I E W

Der Berliner Totalverweigerer Gerhard Scherer soll nach dem Willen des Senats endgültig in den westdeutschen Knast ausgeliefert werden. Seit die Alliierten auf Anfrage des Senats „keine Bedenken“ gegen eine Amtshilfe von Berliner Behörden äußerten, wird nach dem untergetauchten Scherer gefahndet.

taz: Die Polizei hat am Dienstag bei dir angeklopft?

Scherer: Für Januar hatte der Regierende Bürgermeister Momper ja noch ein Gespräch mit mir angekündigt, deshalb bin ich davon ausgegangen, daß die vorher auf keinen Fall zugreifen. Aber nun war die Polizei schon in meiner Wohnung; ich hatte natürlich Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ich denke, das war ein geplanter Zugriff. Die Gesprächsangebote, die es gab, waren nichts anderes als Hinhaltetaktik. Außerdem wollte mich der Senat von der Entscheidung unterrichten, auch das ist nicht passiert.

Seit einem Jahr versuchen die westdeutschen Behörden mit Hilfe des Senats einen Haftbefehl gegen dich zu vollstrecken. Kannst du kurz die Stationen schildern?

Zuerst haben sie mich in ein Gefängnis in Berlin geladen. Aufgrund unserer Recherchen mußte die Berliner Justiz aber eingestehen, daß das hier wegen des Status nicht möglich ist. Dann folgten mehrere Ladungen in den westdeutschen Knast, aber die konnten wir alle durch den Hinweis auf alliierte Richtlinien abblocken, obwohl der Senat der Auffassung war, die Auslieferung sei problemlos möglich. Schließlich stellte der Senat nach einigen Gesprächen mit mir und der Organisation der Totalverweigerer seine Rechtsauffassung zumindest etwas infrage und fragte bei den Alliierten an.

Wo liegt denn der juristische Konflikt?

Erstens dürfen, so wie wir die Allierten Bestimmungen interpretieren, Berliner nicht dem Wehrdienst mit Gewalt zugeführt werden, zweitens bin ich faktisch aus dem Wehrdienst entlassen, weil meine Dienstzeit abgelaufen ist. Somit bin ich Berliner ohne Einberufung, und deshalb darf keine Amtshilfe geleistet werden. Das ist die wörtliche Lesart. Wieso die Alliierten da jetzt plötzlich keine Probleme sehen, kann ich nicht beurteilen, weil ich noch keine Begründung dieser Entscheidung kenne. Weder der Wortlaut der Anfrage noch der der Antwort sind bekannt, selbst die AL hat beides nicht zu sehen gekriegt.

Bist Du vom rot-grünen Senat enttäuscht?

Die haben den rechtlichen Spielraum nicht genutzt. Nach dem 9. November hätte der Senat die Position „aufgrund alliierter Bestimmungen liefern wir nicht aus“ ohne weiteres friedenspolitisch fundieren können. Aber das ist nicht geschehen, weil der Konflikt mit dem Bund nicht gewagt wurde und die AL wohl nicht so ganz bei der Sache war.

Wie geht's jetzt weiter?

Ich kann das natürlich im einzelnen nicht sagen, aber wir werden die Auslieferung dem Senat ein wenig schwer machen. Die haben noch einiges zu erwarten. Außerdem wollen wir in Zukunft noch mehr mit den Totalverweigerern im Osten zusammenarbeiten. Denn es sieht so aus, als wären die die Verlierer der Demokratisierungsbewegung. Denn wenn ein Zivildienst in der DDR eingeführt wird, dann werden Totalverweigerer weiter in die Knäste wandern.

Interview: kotte