Wiedervereinigung am Rande der Wüste

Die seit 150 Jahren auf zwei Staaten verteilten JemenitInnen sollen sich demnächst wieder vereinen dürfen / Die Arabische Republik Jemen (Nord) und die Demokratische Volksrepublik Jemen (Süd) vereinbarten einen Volksentscheid in diesem Jahr / Allerdings ziehen sich die Verhandlungen hin - Qat macht's möglich  ■  Aus Sana Jürgen Gottschlich

„Die Wiedervereinigung des Jemen steht vor der Tür.“ Ahmed, von Beruf Buchhalter und im Zweitjob Fremdenführer, weiß auch schon, wie es dann weitergeht: „Unser Ali wird Präsident des gesamten Jemen. Der Chef aus dem Süden wird vielleicht Ministerpräsident.“ Ob er sich darüber freuen soll, wenn es denn so kommt, wie er erwartet, ist ihm selbst nicht ganz klar: „Für mich wird sich nicht viel ändern.“

Diese Auffassung wird wohl von den meisten BewohnerInnen des Nordjemen geteilt - und das aus einem ganz einfachen Grund: Außerhalb der Hauptstadt Sana ist vom Staat nicht mehr viel zu spüren. Jahrhundertealte feudalistische Strukturen bestimmen immer noch den Alltag der Jemenis. Der Staat - das sind die Straßensperren der Armee, die vor jeder Ortschaft aufgebaut sind.

„Permits“

aus dem Copy-Shop

Auf unserer Fahrt in den Nordosten des Landes, zur alten Königsstadt Marib am Rande der Großen Wüste, werden wir gut zehnmal vom Militär gestoppt. Für Ahmed jedoch kein Grund zur Aufregung. Bereits am Abend zuvor hat er im Tourismus -Ministerium sogenannte „Permits“ besorgt und im Copy-Shop etliche Male durch den Kopierer laufen lassen. Ausgerüstet mit diesem Stapel, griffbereit auf dem Armaturenbrett deponiert, ist er jeder Straßensperre des Militärs gewachsen. Zwei Ausfertigungen für jeden Posten, der die Dokumente anschließend in den Müll schmeißt, ein kurzes Palaver über die Alemanys im Jeep, ein bißchen mit der Kalaschnikow herumfuchteln, und es geht weiter. Später erfahren wir jedoch, daß gerade im Nordosten des Landes häufig auch Straßensperren auftauchen, an denen der ministerielle „Permit“ aus Sana keinerlei Wirkung zeigt. Erst kürzlich waren Gäste des bundesdeutschen Botschafters auf einer Besichtigungstour nach Marib von Vertretern der örtlichen Stämme zum Aussteigen genötigt worden, um dann von ihrem Jeep nur noch die Staubfahne bewundern zu können. Auch das CD-Kennzeichen nützte ihnen nichts.

Obwohl uns auf dem Weg nach Marib eine solche Begegnung mit den Stämmen des Nordjemen erspart blieb, war doch auffällig, daß kaum ein männlicher Bewohner des Landes (Frauen sieht man kaum in der Öffentlichkeit) ohne Maschinenpistole auf die Straße geht. Der Grund dafür wird jedem Besucher in Marib plastisch vor Augen geführt. Die Wüstenstadt, in der nach der Legende vor gut 3.000 Jahren die Königin von Saba die dem israelitischen König Salomon ihre Aufwartung gemacht haben soll - herrschte, ist durch Bombenangriffe zerstört. Während der Revolution im Nordjemen, die einen achtjährigen Bürgerkrieg (von 1962 bis 1970) nach sich zog, war Marib eine Hochburg der Monarchisten. Bis heute weigern sich die Sheikhs der Stämme entlang der saudi-arabischen Grenze mehr oder weniger offen, die Autorität der Zentralregierung anzuerkennen.

Vor diesem Hintergrund spielt sich auch ein aktueller Konflikt rund um Marib ab. Vor drei oder vier Monaten, an den genauen Zeitpunkt konnte sich niemand mehr erinnern, versuchte die Zentralregierung, einem Sheikh ein illegal aus Saudi-Arabien eingeführtes Luxusauto zu beschlagnahmen. Seither wird geschossen. In diesem Streit um den Zoll setzt sich der alte Konflikt zwischen den Stämmen und der nordjemenitischen Zentralregierung um die Ausübung von Hoheitsrechten fort. Das Tauziehen um das beschlagnahmte Auto soll bereits 30 Tote gekostet haben.

Der Streit zwischen der Regierung und den Stämmen führt noch zu einem weiteren Kuriosum. Zehn Kilometer von Marib entfernt glänzt plötzlich mitten in der Wüste das Wasser eines großen Sees auf. Was erst wie eine Fata Morgana anmutet, entpuppt sich tatsächlich als echt. Hinter einem Staudamm, dessen Bau der Chef der Arabischen Emirate mit 100 Millionen Dollar aus seiner Privatschatulle finanzierte, liegt ein Süßwassersee und verdunstet langsam in der Hitze. Das kostbare Naß wird nicht genutzt, weil die Bewässerungsgräben fehlen und angesichts der Auseinandersetzungen vorläufig auch nicht gebaut werden. In der Blütezeit des Jemen, vor 3.000 Jahren, stand hier der erste Staudamm der Welt. Das Kunstwerk, dessen Überreste noch heute bestaunt werden können, trug mit zum damaligen Reichtum des Landes bei.

Wiedervereinigung

auf arabisch

Heute ist „Arabia Felix“ einer der ärmsten Flecken der Erde. Die Weltbank zählt sowohl den Nord- als auch den Südjemen zu den LDC-Ländern (Least Developed Countries). Das würde sich auch nach einer Wiedervereinigung nicht ändern. Trotzdem haben die derzeitigen Verhandlungen zwischen den beiden Jemen hauptsächlich ökonomische Gründe. Vor drei Jahren stieß eine amerikanische Ölgesellschaft direkt an der Grenze beider Staaten auf „schwarzes Gold“. Da man nicht feststellen konnte, wieweit sich das Ölvorkommen in das jeweilige Staatsgebiet erstreckt, einigte man sich, beim Gewinn halbe-halbe zu machen. Um diesen Kompromiß nicht zu gefährden, wurde eine engere Zusammenarbeit angestrebt.

Wiedervereinigungsversuche sind indes im Jemen nichts Neues. Schon als die SüdjeminitInnen die britischen Besatzer in einem blutigen Befreiungskampf 1967 endgültig aus Aden vertrieben, und die NordjemenitInnen 1970 mit nachhaltiger ägyptischer Unterstützung ihre Jahrhunderte währende Monarchie gestürzt hatten, sollte der Zusammenschluß stattfinden. Doch die Interessen des real-sozialistischen Südjemen und des halb-feudalistischen Nordjemen waren nicht in Übereinstimmung zu bringen. Angefangen bei der Rolle des Islam, der nur im Nordjemen Staatsreligion geblieben ist, bis hin zu den bekannten Unterschieden zwischen einer real -sozialistischen Wirtschaftspolitik und einem arabisch -feudalistisch geprägten Kapitalismus gibt es zwischen den beiden Staaten erhebliche Unterschiede. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Doch anders als beim Verhältnis BRD DDR geht es beiden Ländern wirtschaftlich so schlecht, daß auch der bevölkerungsmäßig stärkere Nordjemen nicht in der Lage ist, die Bedingungen einer Fusion zu diktieren. Das Land ist hochverschuldet und verliert gerade seine Haupteinnahmequelle.

Wichtigste Devisenbringer für den Nordjemen waren bis vor zwei Jahren rund eine Million jemenitischer Gastarbeiter in Saudi-Arabien. Doch seit die Ölpreise fallen, schicken die Saudis die Leute zurück. Im Vergleich zu 1987 ist nach offiziellen Schätzungen im Jahr '88 die Deviseneinfuhr aus dem Nachbarland um 50 Prozent zurückgegangen. Kenner der jemenitischen Haushaltspolitik vermuten hinter den Wiedervereinigungsverhandlungen denn auch eine gezielte Finanzpolitik in Richtung Saudi-Arabien. Den Saudis geht es auf der arabischen Halbinsel wie den Franzosen in Europa: Sie lieben die Jemenis so, daß ihnen zwei Staaten lieber sind als einer. Da wird die Vereinigungsdebatte zum probaten Mittel beider Jemen, die reichen Saudis für den Erhalt des Status quo zahlen zu lassen. Erst vor drei Monaten soll König Feisal bei einem Besuch in Aden einen 300-Millionen -Dollar-Scheck dagelassen haben.

Das Tor zum Jemen

Eigentlich hätten die Jemenis diese Tricks gar nicht nötig. Denn im Vergleich zu seinen arabischen Nachbarn ist Jemen nach wie vor ein grünes Land. An den sorgfältig terrassierten Hängen der bis zu 3.000 Meter hohen Berge regnen sich die vom Indischen Ozean und dem Roten Meer kommenden Wolken ab und sorgen dafür, daß der Jemen relativ reich an Wasser ist. Einst wuchsen an diesen Hängen Kaffee und Tabak, Orangen und Weihrauch. Alles wahre Exportschlager - vor rund 400 Jahren. Damals besaß der Jemen das Kaffeemonopol, der Name Mokka-Kaffee geht auf die gleichnamige jemenitische Hafenstadt Mokka zurück. Heute muß zumindest der Nordjemen Lebensmittel importieren.

Einer der Gründe dafür heißt Qat. Qat ist ein bis zu drei Meter hoher Strauch, der in ganzen Plantagen angebaut wird und heute den größten Teil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche des Nordjemen einnimmt. Denn Qat ist die Volksdroge Nummer eins. Über 90 Prozent der jemenitischen Bevölkerung kauen die Blätter des Qat-Strauches täglich und verschaffen sich so einen angenehmen Nachmittag. Es ist deshalb ein Erlebnis ganz besonderer Art, wenn man zu dieser Tageszeit durch den Basar von Sana geht: Hinter dem „Tor zum Jemen“ eröffnet sich eine eigenartige Welt. Die Händler sitzen in ihren meist winzigen Verkaufsständen und rollen einen Tennisballgroßen Kloß aus zerkauten Qat-Blättern in ihrer linken Backe. Die Zeit scheint stehengeblieben, die Atmosphäre ist vollkommen entspannt - wie weggeblasen die Hektik vom Vormittag. Der Besucher kann völlig unbehellig durch die Gassen streifen, niemand wird am Ärmel gezupft oder zum Betreten eines Ladens gedrängt. Der Basar von Sana wird zum unaufdringlichsten Handelsplatz des Nahen Ostens. Ab 14 Uhr ist im Jemen Qat-Zeit, und damit ist der Tag gelaufen.

Da die narkotisierende Wirkung des Qat-Strauches relativ gering ist, mampfen die Jemenis jeden Tag ein ganzel Bündel, das, fein säuberlich in Zellophan eingewickelt, vormittags an jeder Ecke gekauft werden kann. Da der Spaß umgerechnet runde 40 DM pro Tag kostet, bleibt es allerdings ein Rätsel, woher die KonsumentInnen alle das Geld nehmen. Dem Land insgesamt fehlt das in Qat investierte Kapital jedenfalls an allen Ecken und Enden. Mit Entsetzen würden bundesdeutsche Volkswirtschaftler ausrechnen, daß dem Nordjemen durch die täglichen Qat-Sessions rund 100 Millionen Arbeitsstunden im Jahr verloren gehen und die hochwertigen Böden fast ausschließlich mit Qat bepflanzt werden. Da Saudi-Arabien den Qat-Konsum strengstens verboten hat und auch im Südjemen nur noch am Donnerstag und Freitag (dem islamischen Feiertag) gekaut werden darf, fällt Qat als Exportschlager weitgehend aus. Im jemenitischen Alltag stehen die Qat -Runden jedoch für Kultur und Kommunikation. Statt vor dem Fernseher zu sitzen, führt man lange Gespräche, werden Neuigkeiten ausgetauscht und Geschäfte abgeschlossen.

Wohl nicht ganz zu Unrecht vermutet man im Jemen, daß auch die Wiedervereinigung in diversen Qat-Runden verhandelt wurde. So wunderte sich denn auch Ende letzten Jahres kaum jemand, als die beiden Staatschefs des Nord- und Südjemen nach einem Treffen in Aden, wo eigentlich die Konföderation verkündet werden sollte, mitteilten, das Projekt würde noch einmal um ein Jahr verschoben. Man benötige noch Zeit für Verhandlungen. Anschließend soll in beiden Ländern per Volksabstimmung entschieden werden. Bleibt also Gelegenheit, bei etlichen weiteren Qat-Runden über eine zukünftige gemeinsame Verfassung zu sinnieren.