Bedrohliche Sturmwolken über dem Pazifik

Mit Japan an der Spitze in die neunziger Jahre / 1.Teil: Die neue Weltmachtkonstellation USA - Japan / Konflikt um die Hegemonie in der Weltwirtschaft Washington und Tokio im Fahrwasser eines offenen Handelskonfliktes / Finanzpolitische Abwehrinstrumente der Vereinigten Staaten versagen  ■  Von Ch.Yamamoto & G.Blume

Tokio (taz) - Einer nimmt die Geschichte beim Wort. Keikichi Honda hat die Mauer in Berlin fallen gesehen. „Dann habe ich gespürt“, meint heute der japanische Top-Manager, „daß nun auch die 'große japanische Mauer‘ zu wackeln beginnt.“ Was für eine sonderbare historische Eingebung, wo wir bisher nur die große chinesische Mauer kennen.

Ganz einfach, sagt Bank-of-Tokyo-Direktor Honda, nachdem nun der Schatten der Berliner Mauer verschwinde, würden die Amerikaner um so stärker gewahr, daß sie im Schatten des japanischen Handelsüberschusses lebten. Von Amerika aus gesehen bestehe die neue Mauer, die es nun zu durchbrechen gelte, aus den japanischen Handels- und Importbeschränkungen. Japan und die Vereinigten Staaten, so der Bankdirektor, ständen vor einem „kolossalen Drama“.

Das Drama könnte im kommenden Jahrzehnt Weltgeschichte schreiben. Schon haben die Bürger der USA die Gefahr gerochen. Über die Hälfte von ihnen erkennen laut Umfragen seit etwa sechs Monaten die wirtschaftliche Macht Japans als größte Bedrohung der USA. Nur noch ein Drittel der US -Amerikaner fürchtet mehr die sowjetische Militärmacht.

Demgegenüber mutet es nahezu naiv an, wenn die Japaner von Politik und Medien bewußt in der Ahnungslosigkeit gehalten - die USA immer noch als ihre besten Freunde betrachten. Man kann diese Umfragen in beiden Ländern als billige Meinungsmacherei abtun. Man kann in ihnen auch die Ausgangsstellung für den entscheidenden Weltmachtkonflikt der neunziger Jahre ablesen. „Niemand trauert um das Ende einer Ära, die von Washington und Moskau dominiert wurde“, schreibt Nippons führendes Wirtschaftsblatt 'Nihon Keizai‘ zum Jahresbeginn, „wechselseitige ökonomische Abhängigkeiten werden nun zum wichtigsten Garanten für Frieden auf der Welt.“ Das aber ist genau die Analyse der neuen Wirtschafts -Falken im Washingtoner Kongress um Repräsentantenhausführer Richard Gephardt. Nur sehen sie den neuen Frieden bereits wieder bedroht und niemand der ihn garantiert - von wegen der angeblichen japanischen Gefahr.

Unbestreitbar bleibt: So schnell wie sich die US -amerikanisch-sowjetischen Beziehungen seit dem Genfer Gipfel 1985 verbesserten, so schnell geriet das Verhältnis zwischen Washington und Tokio in das Fahrwasser eines offenen Handelskonflikts. Die Entwicklungen verliefen nahezu zeitgleich. Auch in den US-amerikanisch-japanischen Beziehungen markiert das Jahr 1985 eine entscheidende Wende, als nämlich die Finanzminister der führenden Industrieländer mit dem Plaza-Abkommen von New York zum ersten Mal vorgaben, die Welt-Finanzpolitik untereinander abzustimmen, dabei aber vor allen Dingen auf Geheiß der USA die rasante Aufwertung des Yens beschlossen, um die japanische Exportwelle zu stoppen.

In den folgenden Jahren geschah dann, was die USA scheinbar unaufhaltsam an den Rand des Weltgeschehens drängte. In Moskau erhöhte Gorbatschow die Abrüstungsangebote ein ums andere Mal und versetzte Freunde und Feinde ins Staunen. In Tokio aber legte man sich nicht minder ins Zeug. James Fallows, der einst für Präsident Carter die Reden schrieb, lange Zeit in Tokio lebte und heute zu den umstrittensten Japan-Kritikern in den USA zählt, beschreibt die japanische Wirtschaftsentwicklung seit dem Plaza-Abkommen von 1985 mit den schlichten Worten: „Das Ergebnis der Yen -Aufwertungspolitik ('Endaka‘) hat die Haltung der Amerikaner natürlich besonders beeinflußt. In allen klassischen ökonomischen Modellvorstellungen ist die Vorstellung nahezu unmöglich, daß der Handelsüberschuß einer Nation noch steigen kann, nachdem der Preis ihrer Währung sich verdoppelt hat.

Das aber ist genau, was seit dem Spätsommer 1988 geschieht. Der japanische Handelsbilanzüberschuß ging auf verschiedenen Bereichen zurück, als der Wert des Yens tatsächlich anstieg. Doch seit über einem Jahr steigt er nun auf fast allen Bereichen erneut an.“ Anders gesagt: Während sich am neuen sowjetischen Abrüstungswillen bisher alle vertrauten politischen Mittel des kalten Krieges abschliffen, entdeckte Washington gleichfalls, daß gegen das wirtschaftliche Ungleichgewicht mit Japan alle herkömmlichen finanzpolitischen Waffen versagten.

Die neue Weltmachtkonstellation schlug in den letzten Monaten des vergangenen Jahrzehnts voll durch. Da überrollten Revolutionen die Länder Osteuropas und verkündeten die Großmächte demzufolge das „Ende des kalten Krieges“. Über dem Pazifik aber zeigte sich bisher unbekanntes Gewittergewölk. Zweimal schon sahen die US -Bürger den Blitz in ihrem Hause einschlagen. Zuerst Anfang Oktober, als die berühmte Sony-Corporation die vermeintlich ebenso berühmte Filmproduktionsgesellschaft 'Columbia Pictures‘ aus Hollywood einkaufte - immerhin ein Sechs -Milliarden-DM-Geschäft. Dann nochmals im November, als das vielleicht bekannteste Flaggschiff des US-Kapitalismus, das riesige Rockefeller-Center in New York, von Nippons Mitsubishi Estate Company geentert und gekauft wurde. In beiden Fällen rauschte ein Sturm der Empörung durch die US -Öffentlichkeit, während in Japan kaum jemand von den Ereignissen Kenntnis nahm, zumindest nicht öffentlich. Da warnte das US-Magazin 'Newsweek‘ vor der „japanischen Invasion in Hollywood“, sah der New Yorker TV-Showmaster Letterman seine Stadt bereits an Mitsubishi verkauft. Zum nächsten Weihnachten, witzelte es im US-Volk während der letzten Festwochen, gäbe es Bonsai- statt Tannenbäume.

Sollte sich der jetzt erstmals deutlich wahrnehmbare US -Stimmungsumschwung im Verhältnis zu Japan tatsächlich nur auf den Trommelwirbel einiger sensationslüsterner Medien gründen, wie es die Regierungen dies- und jenseits des Pazifiks schnell glauben machen wollten?

Vieles läßt daran zweifeln. So wie die Volkswirtschaften in den USA und der Sowjetunion derzeit strukturell sich ergänzende Interessen aufweisen, nämlich den Abbau der weitgehend unproduktiven Rüstungsausgaben, so steht zwischen zahlreichen Schlüsselindustrien der Vereinigten Staaten und Japan in den neunziger Jahren ein für die eine oder andere Seite tödlicher Überlebenskampf aus. Zwar lassen Rüstungseinschnitte in den USA bisher auf sich warten, doch kein ernsthafter Politiker in Washington gesteht derzeit nicht die dringende Notwendigkeit zur Reduzierung des US -Haushaltsdefizits ein. Damit scheint zumindest ein bedingungsloses Weiterrüsten in den USA abgewendet. Gleichzeitig aber werden Subventionsmittel größeren Umfangs für die von der japanischen Konkurrenz bedrohten Industrien weiter fehlen. Das betrifft in möglicherweise entscheidendem Maße die Auto- und Computerbranche. Beide Bereiche sind Schlüsselindustrien, deren Verlust oder gänzliche Aushöhlung durch Auslandskapital keine Weltmacht hinnehmen wird. Beide Bereiche allein reichen aus, um den Handelskonflikt USA Japan auf eine uns bisher unbekannte Schärfe in den nächsten Jahren vorauszuprogrammieren.

Der Dramatik dieses Konflikts wird man in den Vereinigten Staaten wohl erst in ein bis zwei Jahren einigermaßen gewahr. Der anfängliche Überraschungserfolg des Oberfalken Gephardt bei den US-Präsidentschaftswahlen 1988 und sein unaufhaltsamer Aufstieg zum Sprecher im Repräsentantenhaus deuten die politische Seite der Entwicklung in den USA an. Derweil in Japan alles ruhig bleibt. Regierung und Wirtschaftslenker begnügen sich in der Regel mit Beschwichtigungsformeln. Schließlich kommt auch der eingangs zitierte Bankdirektor Honda zu dem Schluß, daß US-Politiker im Streit mit Japan nur „hausgemachte politische Frustrationen besänftigen wollen“. Das aber ist für seinesgleichen eine außergewöhnlich scharfe Formulierung.

Nippons Antworten werden in Washington, aber auch in Brüssel niemanden zufrieden stellen. Zu viel wird im Westen über Japans wirtschaftlichen Vormarsch bereits gedacht, was Stefan Zweig dem späten Mittelalter entsprechend so formulierte: „Gewaltherrscher, wenn sie einen Krieg vorbereiten, sprechen, solange sie nicht völlig gerüstet sind, ausgiebigst vom Frieden.“