Giftmüllentsorgungspark Polen

■ Niedrige Preise für die Endlagerung giftigen Industriemülls machen Polen für Giftexporteure attraktiv

Der Devisenmangel polnischer Betriebe, die nach der Wirtschaftsreform ihre Bilanzen selbst ausgleichen müssen, hat das Land zum begehrten Endlagerplatz für westlichen Industriemüll gemacht. Polens Behörden sind dem Ansturm westlicher Müllhändler nicht gewachsen, für die Umweltämter ist das Problem neu. Oft ist die heiße Ware als Rohstoff deklariert. Stutzig macht erst, wenn bei den Transaktionen der Lieferant statt des Empfängers zahlt. Im März '89 ist zwar in Basel die Internationale Konvention gegen Giftmülltourismus verabschiedet worden. Seither aber herrscht Schweigen im Walde: Die Bundesregierung hat das Abkommen bisher nicht unterzeichnet.

„Wer übernimmt diese Bombe?“, fragte Ende vergangenen Jahres die Warschauer Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘. Die Frage ist berechtigt: 416 Fässer unangenehm riechenden Inhalts entdeckten die Gesundheitsbehörden Anfang Dezember im Städtchen Nowy Dwor bei Torun. Importeur: die Toruner Andatex GmbH. Absender, wie meist in solchen Fällen, unbekannt. Jedes Faß enthält 200 Liter Industriemüll Batterien, Stoffetzen, Farbreste. Aufmerksam geworden auf die Fässer waren zuerst die Anwohner, die sich um das Wasser der Drweca sorgten, ein Flüßchen, an dessen Ufer der Sondermüll gelagert war. Die Drweca ist die Haupttrinkwasserquelle für die Großstadt Torun.

Die Umweltinspektion veranlaßte denn auch den sofortigen Abtransport, zumal sich die Experten über den Inhalt zahlreicher Fässer im wahrsten Sinne keinen Aufschluß verschaffen konnten: Die Fässer waren hermetisch verschlossen. Sie stammen, so hat man im polnischen Umweltministerium inzwischen herausgefunden, aus einem illegalen Giftmülltransport, der Anfang 1989 von Österreich nach Polen abging. Im April 1989 hatten österreichische Greenpeace-Aktivisten auf dem Wiener Nordwestbahnhof und dem Donauhafen 1.000 falsch deklarierte Fässer entdeckt, die von zwei österreichischen Firmen über eine dubiose Wiener Firma „Industrieabfallverwertung“ (IAV) zunächst über Ungarn nach Polen verschifft werden sollten. Ungarn schickte den Sondermüll jedoch zurück. Die IAV exportiert nach einer Dokumentation von Greenpeace schon seit geraumer Zeit Transformatoren nach Polen. Grund: Das Land käme mit der Produktion von polychlorierten Biphenylen (PCB) nicht nach. PCB ist Teil des Trafo-Kühlmittels. Verbrennt es, entsteht das hochgiftige Dioxin.

Explosive Mischung

Auch beim Wiener Giftmüllskandal im März stellte sich heraus, daß die 1.000 Fässer nur die Spitze eines Eisbergs waren: Bereits 10.000 Fässer waren von der IAV über zwei polnische Firmen namens Remex und Skanslas nach Polen geschafft worden. Skanslas, ein Joint-venture, betrieben von einem polnisch-deutschen Ehepaar namens Dogor, verteilte den Müll an verschiedene Handwerksbetriebe im ganzen Land, darunter an den Warschauer Chemiker Artur Wasilewski. Die 50.000 aufgebrauchten Batterien, die der Transport enthielt, wurden in Polen als neuwertiges Importgut verkauft. Jene 1.000 Fässer, die noch rechtzeitig entdeckt wurden, schickte Polen zurück, der Rest blieb unauffindbar. Bis Ende März 89 ein Arbeiter der „Chemrol GmbH“ buchstäblich in die Luft flog. Er hatte in der Gemeinde Grodzisk Mazowiecki in der Nähe von Warschau Fässer „ausgekratzt“, wie später Anwohner berichteten. Dabei war ein Funke von seiner Zigarette übergesprungen, hatte die Lackreste entzündet und den ganzen Schuppen in Brand gesetzt. Die Explosion hatte das ganze Dorf erzittern lassen, für den Arbeiter kam jede Hilfe zu spät. Den Rest der explosiven „Rohstoffe“ fanden polnische Umweltbehörden und Journalisten über das ganze Land verstreut. Zuletzt wurden jene 416 stinkenden Fässer bei Torun gefunden.

„Es besteht die Gefahr, daß wir zur Müllhalde für reichere Länder werden“, meint Wieslawa Tylman, Inspektorin der Warschauer kommunalen Umweltbehörde. Sie führt, zusammen mit der Staatsanwaltschaft, gerade die Ermittlungen in jenem Todesfall von Grodzisk. „Chemrol GmbH“ ist inzwischen aufgelöst, gegen den Warschauer Chemiker ermittelt die Staatsanwaltschaft. Außer einer geringen Strafe von umgerechnet 20 DM droht ihm im Grunde nichts, die Transaktion erfolgte, bevor Giftmülleinfuhr in Polen unter Strafe gestellt wurde. Und für die wilde Müllablagerung kann man Chemrol nicht verantwortlich machen: Die Firma existiert schon nicht mehr.

„Im Grunde“, so sagt Andrzej Walewski, Vizeminister für Umweltschutz, „sind wir gegen solche Praktiken machtlos.“ Seit dem 1.August wird die Einfuhr von Giftmüll zwar mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft, doch die Gefahr, gefaßt zu werden, ist gering: „Wir haben gar nicht die notwendigen Einrichtungen, an den Grenzen Analysen vorzunehmen. Und im Zweifelsfall fassen wir ohnehin nur die polnischen Importeure, während die Exporteure im Ausland ungestraft davonkommen.“ Gerade im November hatte der Inspektor für Umweltschutz bei Katowice einen Güterzug voll dioxinhaltigen Sondermülls entdeckt. Die insgesamt 350 Tonnen kamen nach Aussage des polnischen Umweltministeriums von der rheinischen „Kowa Chemie“ und werden jetzt auf Kosten des polnischen Importeurs an Ort und Stelle eingebunkert.

Schwermetalle aus

deutschen Landen

Was Polen für dubiose Giftexporteure aus der Bundesrepublik, Österreich, aber auch Schweden, Italien und selbst den USA so attraktiv macht, sind vor allem die niedrigen Preise. Eine Tonne PCB-haltigen Öls beispielsweise in Westeuropa loszuwerden kostet über 2.000 Dollar, errechnete Greenpeace. In Polen schafft man sich so etwas für ein Zehntel dieses Preises vom Hals. Letztes Jahr etwa verhinderten allein der Widerstand der örtlichen Bevölkerung und die Intervention von Waleskis Behörde, daß eine bundesdeutsche Firma die stillgelegten Schächte des größten polnischen Bergwerks Belchatow mit jährlich ca. 170.000 Tonnen radioaktiven Mülls füllte. Gebracht hätte das Belchatow zwar nur 20 Dollar pro Tonne, berichtete die polnische Presse. Doch für polnische Verhältnisse bedeutet das immerhin ein Fünftel eines Durchschnittslohns. Nur 30 DM pro Tonne bot eine Westberliner Firma, die die Schächte des Bergwerks „Turow“ bei Bogatynia mit 900.000 Tonnen „harmlosen Schlammes“ füllen wollte - bis herauskam, daß der Schlamm aus dem Hamburger Hafen und dem Rhein stammte und Cadmium, Blei, Kobalt und Arsen enthielt. Zunderschlamm aus den Walzwerken der Thyssen-Stahl-AG, den eine Handelsgesellschaft aus Moers erstanden hatte, sollte in der Hütte „Laziska“ weiterverarbeitet werden. Wojciech Swiatek, Inspektor des Umweltministeriums: „In der Bundesrepublik ist das wegen der dabei entstehenden PCB-Bildung verboten, in Polen nicht.“ Abfallexperten der Umweltschutzorganisation Greenpeace bezweifeln allerdings, daß Walzzunderschlamm überhaupt PCB enthält. Allerdings werde diese Substanz, die ansonsten nur sehr schwer und kostspielig zu entsorgen ist, gerne harmloserem Müll untergemischt.

Nachdem das Ministerium nach Verarbeitung der ersten 9.300 Tonnen hinter den Inhalt der Lieferung gekommen war, trat der polnische Importeur vom Vertrag zurück. Pro Tonne hatte er vier DM plus Transportkosten bekommen. Ein schlechter Witz, angesichts der Probleme, die der bundesdeutsche Exporteur zuvor gehabt hatte. Im Juni 1988 war nämlich bereits der Versuch der Mannheimer Firma NE-Metall gescheitert, 17.500 Tonnen Walzzunder von Thyssen einem türkischen Hochofen unterzujubeln. Greenpeace hatte über die türkische Transportarbeitergewerkschaft das Entladen des Mülls verhindern können. Statt in der Türkei, so vermuten die Experten von Greenpeace, sei der Müll dann wohl in Polen gelandet.

Joint-ventures im

Entsorgungsgeschäft

Der Devisenmangel vieler polnischer Betriebe, die durch die Wirtschaftsreform gezwungen sind, ihre Bilanzen selbst auszugleichen, macht das Land für westliche Müllspekulanten zu einem idealen Endlagerplatz. Nicht genug, daß bereits Müll geschmuggelt und illegal verbrannt wird, auch Joint -ventures lassen sich hervorragend mißbrauchen, um den Müll, den in Westeuropa keiner will, Polen unterzuschieben. Eine bundesdeutsche Firma bot etwa der Stadt Krakau an, eine moderne Müllverbrennungsanlage zu installieren. Bedingung: Der deutsche Müll müsse mitverbrannt werden. Krakau lehnte ab. Solche Verbundgeschäfte seien inzwischen verboten, erklärt Walewski, doch gegen den Import „schmutziger Technologien“ sei kein Kraut gewachsen. „Wenn jemand hier eine Firma gründet, die Waren produziert, wobei giftige Abfälle entstehen, bleiben die Abfälle natürlich in Polen sie wurden ja nicht importiert.“

Selbst illegal importierten Müll loszuwerden ist oft schwierig - kaum ein Land läßt ihn zurück über die Grenze. Polens Behörden sind auf den Ansturm der Müllhändler nicht vorbereitet, die Zollbeamten sind überfordert, für die Umweltämter ist das Problem neu. Auch die Gesetzgebung hinkt der Entwicklung hinterher. Nur wer nach dem 1.Juli 1989 Müll importiert hat, kann bestraft werden. Wobei oft noch strittig ist, was Müll und was Rohstoff ist. Von einem typischen Fall berichtet die Warschauer Gewerkschaftszeitung 'Tygodnik Solidarnosc‘: Mit riesigen Transportern einer Firma mit Namen „Peine“ sollte „harmloser“ Flugsand aus West -Berlin in die polnische Zementfabrik Gorazdze bei Chorulia gefahren werden. Sechs Mark pro Tonne überwies dafür der Westberliner Exporteur auf das Konto der Warschauer Firma Minex. Doch bald stellte sich heraus, daß die insgesamt 20.000 Tonnen „harmlosen“ Flugsandes radioaktiv waren.

Polen, das ohnehin zuwenig Zement produziert, wird auch radioaktives Material verwenden, um seine Wohnungsnot zu lindern, so die Kalkulation der Exporteure. Die Frage, ob es sich um Rohstoffe oder Abfall handle, ist leicht zu beantworten: Wenn der Exporteur für die Übernahme zahlt, kann es sich nur um letzteres handeln. Wer zahlt schon, um Rohstoffe loszuwerden? Allzuviel ist das allerdings nicht, was man polnischen „Entsorgern“ zahlen muß, und daher kommt es auch, daß sich Polen in Giftmüll-Händlerkreisen in letzter Zeit so großer Beliebtheit erfreut. Die Liste geplanter Lieferungen zeigt es:

Hafenschlamm aus Rotterdam sollte in Danzig entladen werden; in Cybinki sollte Öl „wiederaufbereitet“, d.h. verbrannt werden; für die Einrichtung und anschließende Mitbenutzung einer Müllverbrennungsanalge bei Slupsk bot eine US-Firma fünf Dollar pro Tonne; über eine Firma namens Polskan kamen schwedische Abfälle nach Koszalin, die Fässer verschwanden spurlos; der Österreicher Harald Nitsche, inzwischen wegen Betrugs verhaftet, wollte im letzten Jahr 400 Fässer mit Lackrückständen ins polnische Strzelin schaffen. Nitsche ist Miteigentümer der IAV.

Solche Verbindungen sind nichts Ungewöhnliches im Müllhändler-Milieu. Da wird mit Briefkastenfirmen in der Schweiz und Liechtenstein gearbeitet, die überraschend aufgelöst und neu gegründet werden. Und immer wieder tauchen die gleichen Namen auf. Die Öffnung in Osteuropa und der dortige Devisenhunger haben den Müllhaien ein weites Betätigungsfeld eröffnet. Was bisher nur in Entwicklungsländern möglich war, steht nun auch den Staaten Osteuropas bevor - mit einem Unterschied: Sie sind nicht so weit entfernt.

Klaus Bachmann