Streit um Verfassungsschutz spaltet den runden Tisch

■ Beim fünften Treffen von DDR-Regierung und Opposition drohen die Verhandlungen am Komplex innere Sicherheit zu scheitern / Opposition fordert Auskunft über Amt für Nationale Sicherheit

Ost-Berlin (taz/dpa) - Die Opposition am runden Tisch in Ost -Berlin hat gestern scharfe Kritik daran geübt, daß die Regierung der DDR trotz eines gegenteiligen Votums der Dialogrunde am Aufbau eines Nachrichtendienstes und eines Amtes für Verfassungsschutz vor den Wahlen am 6. Mai festhalte. In einer gemeinsamen Erklärung von acht Oppositionsgruppen, die der Vorsitzende der Partei Demokratischer Aufbruch, Wolfgang Schnur, vortrug, wurde die Regierung aufgefordert, „alle Handlungen zu unterlassen“, die dem Beschluß des runden Tisches vom 27. Dezember entgegenstehen.

Damals war mehrheitlich am runden Tisch die Aufforderung an das Kabinett von Hans Modrow beschlossen worden, die Bildung dieser Organe bis zu den Wahlen auszusetzen. In der Erklärung der Opposition wird die Regierung aufgefordert, bis zum 8. Januar den Nachweis zu erbringen, daß die Waffen des in Auflösung befindlichen Amtes für Nationale Sicherheit übergeben werden und den Mitarbeitern des Amtes nicht mehr zugänglich seien.

Die Opposition zog sich zu einer Beratungspause zurück und formulierte den Forderungskatalog an die Regierung. Sie will auch eigene Vertreter zur Kontrolle über die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit entsenden. Der stellvertretende SED-Vorsitzende Wolfgang Berghofer und andere übten ebenfalls Kritik an den bis herigen Informationen des Regie rungsvertreters in Sachen Sicherheit.

Im Mittelpunkt der gestrigen Beratungen standen wirtschaftspolitische Beratungen. Zum ersten Mal hat die DDR Wirtschaftsministerin Christa Luft konkrete Zahlen über die finanzielle Misere des Landes vorgelegt. Die DDR sei derzeit mit 20,6 Milliarden Dollar im westlichen Ausland verschuldet. Für das Jahr 1989 kämen weitere 2,4 Milliarden Dollar Außenhandelsdefizit hinzu. Dadurch werde eine neuerliche Kreditaufnahme nötig.

Auf Nachfrage des Opposition wiedersprach die Ministerin Presseberichten, die von Verhandlungen über AKW-Lieferungen aus der BRD berichteten. Es habe nur „Gespräche“ zwischen DDR- und BRD-Firmen gegeben, offizielle Verhandlungen würden nicht geführt.

Staatssekretär Gress erläuterte einen 12-Punkte-Arbeitsplan der Regierung. Ganz oben steht ein neues Energiekonzept. Weil Subventionen abgebaut werden sollen, müssen sich die DDR-Bürger darauf einstellen, daß der Strom teurer wird. „Wir sind dankbar für alle Vorschläge zum Energiesparen“, sagte Gress vor den Mitgliedern des runden Tisches. Als „ökologisch nicht vertretbar“ bezeichnete der Staatssekretär die Braunkohlekraftwerke und kündigte an, daß im 1. Quartal 1990 rund fünf Prozent weniger Braunkohle abgebaut würde.

Die Arbeitsgruppe Wirtschaft des runden Tisches hat in ihrem Arbeitspapier zu einer „großen Koalition der Vernunft“ aufgerufen und für die Öffnung zur internationalen Arbeitsteilung, für mehr Markt plädiert. Die Forderung der AG an die Regierung, auch an internationalen Wirtschaftsgesprächen beteiligt zu werden, lehnte Ministerin Luft ab. Man müsse sich hier an die üblichen Gepflogenheiten halten, begründete sie.

Das Neue Forum übte gestern erneut Kritik an der finanziellen Versorgung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, Staatsbediensteter und Parteifunktionäre. Es würden drei Jahre lang Überbrückungsgelder gezahlt in Höhe des letzten Nettolohnes. Es gebe bereits zahlreiche Eingaben von Betrieben, die gegen diese Sonderbehandlung protestierten. Die Regierung sagte gestern die Überprüfung der Regelung zu.

Wie lange die Opposition noch am runden Tisch sitzen wird, ist derzeit ungewiß. Wenn die Gruppen bis zum 8. Januar keine erschöpfende Auskunft zum Komplex Sicherheit bekämen, drohe ihr Auszug. Das Neue Forum will seine entgültige Entscheidung am Wochenende beim landesweiten Delegiertentreffen in Leipzig fällen.

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