Schlachtgesänge um die 35-Stunden-Sonne

■ Gewerkschaftsbasis und Arbeitsgeber tendenziell einig: Erst Fressen, dann Freizeit / IGM: Wenn nicht jetzt 35, dann nie

Zwar läuft der Tarifvertrag in der Metallindustrie noch bis Ende März, zwar dauert die Friedenspflicht noch einen Monat länger, doch die Matadore der Tarifparteien laufen sich bereits vor dem Verhandlungsring warm. Die „härtesten Auseinandersetzungen in der Nachkriegsgeschichte“ prophezeite der Metall-Vorsitzende Frank Steinkühler, und auch die Arbeitgeber geben sich zum Kampfe vorbereitet.

Für den Tarifbezirk Nord-Niedersachsen wird ab 10. Januar in Hamburg verhandelt, und auch wenn die in Bremen vorgetragenen Positionen nicht ganz so hart formuliert werden wie anderswo, so scheint doch eines klar: Eine wesentliche Forderung der IG-Metall wird von den Arbeitgebern so entschieden abgelehnt, daß zumindest an Warnstreiks kein Weg vorbei führen wird: die 35-Stunden -Woche.

Ein erster Schritt auf dem Weg zur 1977 auf einem Gewerkschafstag beschlossenen 35-Stunden-Woche gelang der IGM vor sechs Jahren. Damals wurde eine stufenweise Arbeitszeitverkürzung

auf 38,5 Stunden beschlossen. 1987 folgte die wiederum schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit auf 37 Stunden. In beiden Fällen wurde die Arbeitszeitverkürzungen mit einem geringeren Lohnzuwachs erkauft. Da die Metallindustrie in den letzten beiden Jahren eine extrem gute Gewinnsituation hatte, (die Arbeitgeber selbst gehen für das Jahr '89 von 15 Prozent aus), sich aber weigerten, die Arbeitnehmer mit einem „Nachschlag“ zu bedenken, steht neben der Arbeitszeitverkürzung auch eine kräftige Gehaltserhöhung auf dem IGM-Forderungskatalog: 8,5 % mehr fordert die Gewerkschaft. Dazu kommt die Forderung nach Abbau von Überstunden und dem weitergehenden Verbot der Sonntagsarbeit.

Auf 15 Prozent addiert der Geschäftsführer im Arbeitgeberverband der Matallindustrie im Unterwesergebiet, Ortwin Baum, die Gewerkschaftsforderung und resümmiert: „unverantwortlich“ und: „Gift für die Konjunktur“. Seine Rechnung: Die Brutto-löhne der Arbeitnehmer sei in den letzten drei Jahren insgesamt um

14 Prozent gestiegen, die Gewinnsumme der Arbeitgebner lediglich um 11 Prozent. Also: Kein Grund für einen Nachschlag. Den Angebotsrahmen der Arbeitgeber wird für ihn durch die „gesamtwirtschaftliche Produktivität“ abgesteckt, und die wird mit 2,5 bis 3 Prozent vorausgesagt. Das Gewerkschafts-Argument, Arbeitszeitverkürzung schaffe Arbeitsplätze, dreht Baum herum: Arbeitszeitverkürzung vernichte Arbeit, da bereits jetzt mangels Angebot kaum mehr Facharbeiter eingestellt werden könnten. Und an die Einstellung von Fachkräften sei auch die Beschäftigung ungelernter Arbeiter gebunden.

Eine Argumentation, die Gerd Borrmann aus der IG-Metall -Zentrale in Bremen glatt in Rage bringt: „Das haben wir denen schon immer gesagt, daß sie zuwenig ausbilden“, dreht er den Spieß um. Zwar sei auf den Bremer Werften die von der IGM geforderte Ausbildungsplatzquote von 10 Prozent fast erreicht, aber andere Betriebe blieben weit hinter diesen Forderungen zurück. So prahle Daimler immer mit

800-900 Ausbildungsplätzen. Dies seien aber bei 15.000 Beschäftigten lediglich 5-6 Prozent.

Auch die Arbeitgeberrechnung, daß die IGM-Forderungen ein Gesamtvolumen von 15 Prozent erreichten, hält Borrmann für falsch. Seine Begründung: Die Kosten für die Arbeitszeitverkürzung könnten nur zur Hälfte eingerechnet werden, da die Arbeitgeber lediglich 50 Prozent der Mehrarbeit durch neue Stellen abdecke.

„Die Unternehmer haben enorme Gewinne gemacht“, meint Borrmann und verweist auf eine Statistik, nach der die Unternehmer-Gewinne in der Bundesrepublik von 1982 bis 1988 von 232 auf 433 Millionen Mark gestiegen sind, um fast 100 Prozent also. Borrmann: „Die Lohnzuwächse betragen dagegen lediglich 25 Prozent. Also haben wir doch eine Umverteilung von unten nach oben.“

Eine Argumentation, mit der Borrmann in den Betrieben auf Zustimmung stoßen wird. Schwieriger ist es schon für die 35 -Stunden-Woche zu mobilisie

ren. Ein Betriebsrat aus einem der großen Bremer Betriebe: „Das Hauptanliegen der Kollegen ist, das wir kräftig cash aushandlen. Punkt zwei ist das freie Wochenende und dann zuletzt auch Arbeitszeitverkürzung.“ Dagegn ein Funktionär: „Wenn wir diesmal keine 35 hinkriegen, schaffen wir es nie.“

Seit der Novellierung des §116 Arbeitsförderungsgesetzes ist ausgeschlossen, daß das Arbeitsamt für ausgesperrte Kollegen Kurzarbeitergeld zahlt und diese also auf das Sozialamt angewiesen wären. Auch deshalb wird die Mobilisierung für eine heftige Tarifauseinandersetzung besonders schwierig sein. Und so wird bei der IG-Metall schon kräftig über einen Kompromis nachgedacht, mit dem die Gewerkschaft das Gesicht und die Kollegen behalten kann: dieses Jahr ein besonders kräftiger Lohnzuwachs, die Arbeitszeitverkürzung gestreckt auf mehrere Jahre. Mit einem Abschluß der Tarif-Auseinandersetzungen rechnen die Beteiligten erst für den Sommer.

Holger Bruns-Kösters