„Schreyer bleibt stumm“

■ Bürgerinitiative im DDR-Städtchen Ketzin fordert, Müllimport aus West-Berlin sofort zu stoppen / Grundwasserverseuchung hätte vermieden werden können

Gestern blockierten sie die Westberliner Mülltransporter nur für eine Stunde, doch demnächst wollen die Bewohner der Stadt Ketzin die Müllimporte aus der Mauerstadt vollständig stoppen. Marlis Oettel von der Ketziner „Bürgerinitiative 89“ forderte auf einer Pressekonferenz am Mittwoch abend die „frühestmögliche Schließung“ der Deponie Vorketzin. Die Ketziner wollten nicht warten, bis im Jahr 1994 der Langfristvertrag zwischen West-Berlin und der DDR ausläuft, bekräftigte Oettel. Hinter dem Forderungskatalog, den Oettel vorstellte, stehen offensichtlich die meisten der 4.500 Ketziner. An einer Kundgebung am 19. November hätten mehr als 2.000 Ketziner teilgenommen, hieß es.

Erst seit neuestem wissen die Ketziner Näheres über die 1977 eröffnete Deponie, die nur 500 bis 1.000 Meter von ihrem Städtchen entfernt ist, von der das verseuchte Grundwasser aber in Richtung Stadt fließt. Bis die DDR -Regierung am 2. November 1989 die „Verordnung über die Geheimhaltung von Umweltdaten“ aufhob, habe die Müllkippe als „exterritoriales Gebiet“ gegolten, sei von Wachmannschaften und Hunden bewacht worden, klagte Oettel.

Das ganze Ausmaß des Vorketziner Müllskandals wird nun in Umrissen deutlich: Die im Jahr 1977 eröffnete Deponie, auf der bis heute neben jährlich 400.000 Tonnen Hausmüll auch flüssige, wassergefährdende Sonderabfälle aus West-Berlin abgekippt werden, ist offensichtlich selbst für Hausmüll absolut ungeeignet. Den DDR-Behörden sei dieser Umstand schon während des Genehmigungsverfahrens im Jahr 1974 bekannt gewesen, sagte Bernhard Remde von der Potsdamer Bezirkshygieneinspektion gegenüber der taz.

Den Potsdamer Umweltbehörden sowie dem Zentralen Geologischen Institut (ZGI) in Ost-Berlin sei damals „klar“ gewesen, daß die Deponie das oberflächennahe Grundwasser belasten würde, aus dem in einer benachbarten Wohnsiedlung das Trinkwasser gezogen wird. Dies hätten die Behörden schon für den Fall vorausgesagt, daß allein Bauschutt und Siedlungsabfälle in Vorketzin abgekippt würden. Eine künstliche Basisabdichtung und eine Sickerwassererfassung, die die Potsdamer Behörden und das ZGI schon 1974 forderten, hätten die oberen Ostberliner Stellen trotzdem abgelehnt, klagte Remde, der auch Mitglied in der Potsdamer Bürgerinitiative ARGUS ist.

Die Kippe wurde schließlich nur mit einer ein Meter dicken Schicht aus Bauschutt nach unten abgedichtet. Das Sickerwasser wird, wie ein Deponie-Mitarbeiter am Mittwoch abend bestätigte, in einem an Land gezogenenen alten Havelkahn gesammelt, von Zeit zu Zeit abgepumpt und erneut über der Deponie verrieselt.

Die nördliche Hälfte der 90 Hektar großen Deponie ruht überdies auf einer „Altlast“: der 1919 eröffneten, alten „Charlottenburger Müllhalde“. Eine eindeutige „Zuordnung“ der Giftstoffe, die bereits acht Trinkwasserbrunnen einer benachbarten Wohnsiedlung verseucht haben, sei deshalb schwierig, räumte Remde ein. Es sei aber aufgrund der Lage der etwa einen Kilometer entfernten Siedlung „zu vermuten“, daß dieses Gift aus der Westmüll-Deponie stammt.

Die acht Brunnen wurden in diesem Jahr - allerdings nur pro forma - gesperrt, nachdem die Behörden im Frühjahr begonnen hatten, 50 der insgesamt 1.000 Privatbrunnen der Nachbarschaft zu überprüfen. Zur Zeit, so Marlis Oettel, werde ein neuer Tiefbrunnen gebohrt. Bis die Bewohner der Erich-Weinert-Siedlung aus ihm versorgt werden könnten, müßten sie weiterhin das Wasser der eigentlich „gesperrten“ Brunnen benutzen. Allerdings hätte die Behörde die Auflage erteilt, das mit Ammonium, Nitrat und Nitrit belastete Wasser nicht zu trinken.

„Recht eigenartig“ fand es Marlis Oettel, daß sich auch die Westberliner Behörden nie um das Schicksal der Ketziner gekümmert hätten. Umweltsenatorin Schreyer (AL-nah) sei bereits am 19. November '89 von der BI eingeladen und informiert worden, habe aber bis heute „nicht reagiert“. Das sei „nicht in Ordnung“, meinte Oettel.

hmt