Menschenhandel ist schwer nachweisbar

■ Staatsanwalt Bernhard Brocher (35) über die Schwierigkeiten, Zuhälter und Bordellbetreiber in Prozessen der Ausbeutung thailändischer Prostituierter zu überführen / Verfahrensverzögerungen durch langwierige Rechtshilfeersuchen

Staatsanwalt Bernhard Brocher arbeitet in der Abteilung für organisierte Kriminalität und ist dort für Verfahren zum Nachteil thailändischer Prostituierter zuständig. Brocher ist Anklagevertreter im Prozeß gegen den 43jährigen Angeklagten Joachim F. und andere.

taz: Seit Jahren finden in Berlin Razzien in Bordellen statt, werden thailändische Prostituierte festgenommen und in ihr Heimatland abgeschoben. Wie ist es zu erklären, daß es bislang so wenige Prozesse gegen Zuhälter und Bordellbetreiber gegeben hat?

Bernhard Brocher: Nach der gültigen Rechtslage führen die Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Zuhälter, Bordellbetreiber und Schlepper alle zu Großverfahren, das bedeutet eine verhältnismäßig lange Bearbeitungszeit. Es sind aber im letzten Jahr vier große Anklagen erhoben worden, von denen allerdings nur eine, und die auch nur teilweise, von den Gerichten verhandelt wurde. Insgesamt haben wir in diesem Bereich über 20 Leute vor großen Strafkammern beim Landgericht Berlin angeklagt.

Während der Ermittlungen war immer wieder die Rede davon, daß die Thailänderinnen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Berlin gelockt und hier gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen worden seien. Warum taucht der Vorwurf des Menschenhandels in den Anklagen jetzt nicht mehr auf?

Bei der überwiegenden Zahl der thailändischen Prostituierten muß man davon ausgehen, daß diese wußten, daß sie zur Prostitutionsausübung nach Berlin reisen sollten. Bei einer Minderzahl gab es Verdachtsmomente des Menschenhandels. Der Grund, warum wir diesen Vorwurf aus den Anklagen ausgeschieden haben, ist der, daß die wichtigen Tathandlungen des Menschenhandels in Thailand stattgefunden haben, und es uns nicht möglich ist, sachgerechte Ermittlungen in Thailand über die Umstände der Anwerbung, Thailänderinnen zu führen.

Gibt es in den Verfahren noch andere Beweisschwierigkeiten?

Es gibt in den Verfahren Beweisschwierigkeiten. Einmal die ganz normalen, die bei Anwendung der Paragraphen für Prostitutionsstraftaten immer auftreten. Zum Beispiel verlangt der Nachweis der Zuhälterei die Aufklärung der Beziehungen zwischen Zuhälter und Prostituierter in allen Einzelheiten. Außerdem gibt es natürlich ganz spezielle Beweisschwierigkeiten dadurch, daß die Thailänderinnen während der Hauptverhandlung in aller Regel nicht mehr in Deutschland sind, da die Hauptverhandlungen oftmals erst zwei Jahren nach den Straftaten stattfinden. Dies führt zu Rechtshilfeersuchen, die in der Regel im Durchschnitt zwischen sechs und zwölf Monaten dauern. Dadurch ergeben sich in den meisten Prozessen Verfahrensverzögerungen bis zu einem Jahr.

Das könnte doch verhindert werden, wenn die Thailänderinnen nicht abgeschoben werden, sondern wenigstens bis zum Prozeß hierbleiben könnten.

In aller Regel wollen die Frauen freiwillig ausreisen, und es gibt keinerlei rechtliche Handhabe, einen Zeugen zu zwingen, sich über längere Zeit in Berlin aufzuhalten. Auch nach der Einrichtung der vom Senat geschaffenen Zufluchtwohnung hat sich keine einzige Zeugin bereit erklärt hierzubleiben, um auf den Prozeß zu warten. In der Zeit dürfte sie nämlich keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und müßte von Sozialhilfe leben. Außerdem wissen die Frauen ganz genau, daß sie nach einer Aussage dem Druck aus dem Zuhältermilieu ausgesetzt sind und sich diesem am besten durch eine Rückkehr nach Thailand entziehen können.

Gestern begann zum zweiten Mal der Prozeß gegen den mutmaßlichen Zuhälter P. und die thailändische Puffmutter „Mama Sun“. Das Verfahren war im September auf Antrag der Verteidigung ausgesetzt worden, damit mittels eines Rechtshilfeersuchens die thailändischen Zeuginnen in ihrem Heimatland ausfindig gemacht werden können. Ist das nach so langer Zeit überhaupt noch möglich?

Zu meiner Überraschung hat genau in diesem Verfahren die thailändische Regierung 21 Anschriften von thailändischen Zeugen mitgeteilt, die nunmehr in der Hauptverhandlung voraussichtlich im April/Mai nach Berlin kommen sollen. Das Erscheinen dieser Zeugen ist allerdings freiwillig, und es läßt sich im Moment noch nicht absehen, ob sie dazu bereit sind.

Angenommen, die thailändischen Zeuginnen befolgen die Ladung nicht. Kann die Staatsanwaltschaft die Angeklagten in den beiden jetzt zur Verhandlung stehenden Prozessen auch so der Zuhälterei und Förderung der Prostitution überführen?

Nach meiner Einschätzung ist es ziemlich beliebig, was die thailändischen Zeugen sagen und ob sie kommen. Zielsetzung unserer Ermittlungen war es von Anfang an, durch andere Beweismittel als die thailändischen Zeuginnen schlüssig die angeklagten Straftaten nachzuweisen. Aus diesem Grund sind die Anklagen auf Paragraphen zugeschnitten, deren Taten zentral in Berlin durchgeführt wurden, daß heißt im Kern beider Verfahren steht der Vorwurf der Zuhälterei. Als Beweismittel kommen alle Polizeibeamten von Razzien und Kontrollen in Frage, die dabei sichergestellten Urkunden sowie alle in Berlin ansässigen Zeugen und Mitbeschuldigten, die Kenntnis über den Ablauf in den Bordellen hatten. Dazu kommen öffentliche Register und Ausländerakten, in denen etwas über die Thailänderinnen verzeichnet ist.

Belasten die thailändischen Frauen ihre Zuhälter und Schlepper überhaupt?

Wenn die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten schlecht sind - das heißt die Ausbeutung besonders kraß ist

-, ist die Aussagebereitschaft der Frauen sehr viel höher als in Fällen, wo sie mit ihrem Verdienst zufrieden sind. Im Verfahren gegen P. haben über drei Viertel der Frauen Aussagen gegen die Bordellbetreiber gemacht, in anderen Verfahren wiederum haben die Frauen keinerlei sachgerechte Aussagen gemacht.

Was gilt als guter und was als schlechter Verdienst?

In der Regel macht jede Thailänderin, die nach Abzahlung ihrer Schlepperschulden mehr als 1.000 Mark netto pro Monat behält, keine Aussage. Die Fälle, in denen die Frauen zufrieden sind, machen schon die Mehrheit aus, aber es gibt auch eine ganze Reihe von Fällen, wo die Ausbeutung 100 Prozent der Bruttoeinnahmen umfaßt. Die Wohnverhältnisse der Frauen spielen bei der Aussagebereitschaft keine Rolle, auf diesem Gebiet sind die Thailänderinnen äußerst duldsam.

Trifft es zu, daß die meisten Thailänderinnen, die bei Razzien festgenommen worden sind, nach ihrer Freilassung sofort wieder anschaffen gehen?

Die Frauen haben ein großes wirtschaftliches Interesse, viel Geld zu verdienen, weil sie sich für die Reise hoch verschuldet haben. Wenn sie ausgewiesen werden, bevor sie ihre Schulden abgearbeitet haben, stehen sie noch schlechter da als zuvor. So gesehen, gibt es ein gleichgerichtetes wirtschaftliches Interesse zwischen den meisten thailändischen Prostituierten und den hiesigen Schleppern und Bordellbetreibern.

Werden gegen die thailändischen Prostituierten eigentlich auch Ermittlungsverfahren eingeleitet?

Alle Thailänderinnen, die als Touristen nach Berlin kommen und hier bei der Erwerbsunzucht angetroffen werden, bekommen ein Ermittlungsverfahren wegen Verstosses gegen das Ausländergesetz. In den letzten Jahren waren das über 1.000. Die Verfahren werden später aber fast alle eingestellt.

Stimmt es, daß viele Thailänderinnen wieder nach ihrer Abschiebung nach Berlin zurückkommen?

Das trifft bei einem hohen Prozentsatz zu. Ein Problem für uns dabei ist, daß sie mit anderen Personalien wieder einreisen, weil sie die Aufenthalt in Thailand zu einer Namensänderung genutzt haben. Trotzdem kann man sagen, daß die verschiedenen Maßnahmen wie Visumpflicht, aber auch unsere Ermittlungen und Verfahren und die Verhängung von Haftbefehlen dazu geführt hat, daß der „Import“ von Frauen aus der Dritten Welt zur Ausbeutung durch Prostitution in Berlin zurückgedrängt worden ist.

Man könnte ja auch bessere Bedingungen für die Frauen zu schaffen und versuchen, den Zuhältern auf diesem Weg den Garaus zu machen. Was halten Sie davon?

Das heiße ich nicht gut. Das Potential der Frauen in der Dritten Welt, die von Schleppern angeworben werden können, geht in die hundert Millionen. Wenn hier günstige Arbeitsbedingungen geschaffen würden, würden Zehntausende herkommen. Ich befürworte das Gegenteil, nämlich: eine strikte Bestrafung aller, die ausländische Prostituierte beschäftigen. Und zwar in viel weitergehendem Umfang als bisher, indem ein neuer Tatbestand im Strafgesetzbuch geschaffen wird.

Interview: Plutonia Plarre