„Soviele Rote auf eenmal“

■ Die unerwarteten Erlebnisse von Westberliner AntifaschistInnen auf der Demo gegen Neofaschismus in Ost-Berlin

„Wo geht's denn hier zur Demo?“ Orientierungslos steht ein Grüppchen Westberliner AntifaschistInnen am S-Bahnhof Treptower Park. „Blöde Frage - immer den Massen nach“, kommt die prompte Antwort aus dem Gedränge. Ungläubig blickt der Fragesteller sich um: Ältere Frauen mit Einkaufstaschen, Männer mit Aktenkoffern und Familien strömen in Richtung Park. Zögernd folgen die sechs schwarzgekleideten Gestalten der Menge. Erst als sie die ersten „Nazis raus!„-Rufe hören, fühlen sie sich nicht mehr völlig fehl am Platze.

Am Ehrendenkmal für die im Faschismus gefallenen sowjetischen Soldaten angekommen, fängt das Staunen erst richtig an: Der Kundgebungsort ist brechend voll. Rund 250.000 Menschen sind am Mittwoch abend einem Aufruf der SED -PDS, der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaftsgesellschaft und dem Komitee der Widerstandskämpfer gefolgt, um an dem Mahnmal, das in der vergangenen Woche mit neonazistischen und antisowjetischen Sprüchen beschmiert wurde, gegen Neofaschismus zu demonstrieren.

Aber statt der gewohnten Szenerie von mit PLO-Tüchern vermummten Jugendlichen in schwarzer Lederkluft finden sich die Antifa-Demo-erprobten WestberlinerInnen zwischen überwiegend älteren Jahrgängen in Tweed und Pelz wieder. Die Transparente klingen schon wieder heimisch: „Kein 3. Reich“, „Den REPs keine Chance“ - nur bei einigen mitgebrachten Schildern stutzen die westlichen Demo-TouristInnen. „Ich fordere Sicherheitskräfte gegen Neonazis“ entziffert ein „Wessi“ verstört eine Parole.

Randale ist hier nicht zu erwarten - die vereinzelt herumstehenden Volkspolizisten wollen sich ausdrücklich als Kundgebungsteilnehmer und nicht als Sicherheitskräfte verstanden wissen. Als Andree Türpe von der Initiative „Für unser Land“ die „lieben Vertreter eines antifaschistischen Berlins“ begrüßt, fühlen sich die WestlerInnen zwar auch angesprochen, aber sichtlich unwohl in ihrer Lederhaut unter den offensichtlich überwiegend SED-PDS-treuen TeilnehmerInnen aus dem Osten. „So viele Rote auf eenmal“ stöhnt ein junger Mann mit „Anarcho-A“ auf dem Rücken. Die Menge reagiert auf die Forderung eines SED-PDS-Vertreters, die Regierung müsse sofort Maßnahmen ergreifen, um „die braunen Ratten aus ihren Löchern zu locken“, mit dem Ruf nach dem Verfassungsschutz.

Für die BesucherInnen von der anderen Seite des gefallenen antifaschistischen Schutzwalls ist jetzt die Schmerzgrenze erreicht. „Det kann doch nicht deren Ernst sein“, rauft sich eine Frau verzweifelt die grünen Haare. Die Klänge der inzwischen angestimmten „Internationale“ vernehmen die westlichen AntifaschistInnen, mehr verwirrt als gefrustetet, nur noch am Grenzübergang.

Silke Langhoff