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Duell zweier entfernter Planeten

In der Handball-Bundesliga setzte sich TuSEM Essen im Aufeinandertreffen zweier Europacup-Sieger gegen TuRu Düsseldorf mit 26:17 durch / Überirdischer Ballzauber der Herren Quattro, Scholle, Ele und Schwalbe  ■  Aus Essen Ernst Thoman

„Hotti“ (Horst) Bredemeyer räkelte sich bereits zwanzig Minuten vor dem Ende behaglich und belustigt auf der Bank. Die Edelfans auf den Sitztribünen (Anzug und Krawatte werden bevorzugt, wenn in Essens Grugahalle Handball aufgelegt wird) tippten bei dem Gast aus Düsseldorf auf Galgenhumor. Doch Bredemeyers Horst, Posthauptsekretär a.D., bis zum Sommer noch Chefcoach bei TuRu Düsseldorf und danach nur noch Bundestrainer, dieser stets lustige nationale Hoffnungsträger in der Nachfolge des Petre Ivanescu, dieser „Hotti“ eben, versteht auch, Handball mit dem Kopf zu spielen. „Es ging doch um nichts“, befand er listig lächelnd.

„Mit einem gnadenlosen Spiel voller Druck und Kampf“, wie sein Essener Kollege „HaDe“ (Hans-Dieter) Schmitz analysierte, schickte TuSEM die lauen TuRu-Werfer mit einem unbarmherzigen 16:7 in die Halbzeit. Daß es im zweiten Abschnitt nur zu einem schiedlichen 10:10 reichte, fand den Grund in genau jenen Extremitäten, mit denen Handball ganz überwiegend betrieben wird. Beide Teams nämlich nahmen nun kräftig die Hand zu Hilfe, griffen dabei allerdings weniger zum Ball als zur Bremse. Das finale Resultat von 26:17 für TuSEM Essen steht für einen Klassenunterschied zwischen dem Spitzenreiter und dem Vorletzten aus Düsseldorf. Am Beispiel der Handbremse war das etwa wie Daimler gegen Datsun.

Aber es ging ja wirklich um nichts, die Play-Offs lassen grüßen. Düsseldorf wird ab März in der Abstiegsrunde präsent sein, nur die Punkte gegen die unmittelbare Konkurrenz aus Kiel, Wanne, Weiche oder „Mil„(bertshofen) werden in die Runde der letzten Sechs eingebracht. „Was hätte uns da“, so Bredemeyer, „ein Sieg in Essen genutzt? Gewinnen kann man hier sowieso nicht.“

Ein einziges Mal gingen seine Werfer in der Gruga in Führung, beim ersten Angriff zum 1:0 blieb der Ball eine Minute und acht Sekunden in Düsseldorfs Fangarmen. Danach zog TuSEM nach dem 2:2 über 8:3 auf 13:5 davon. Nach 23 Minuten war das Prestigespiel der beiden Europacupsieger höchst einseitig gelaufen. TuSEM Essen zauberte mit der zitierten, allerdings brillanten Gnadenlosigkeit Handball wie von einem anderen Stern. „Quattro“ Peter Quarti auf rechts, „Scholle“ Jochen Fraatz auf links zwirbelten wie bei einer Kunststoß-WM dem armen Michal Barda die Bälle billardgerecht ins Netz. „Ele“ Elezovic konnte sich die statistische Rarität erlauben, als Halblinker erst nach vierzig Minuten einen Torschuß zu riskieren: er scheiterte mit einem Siebenmeter an Barda. Dafür setzte er seine Nebenleute (Martin Schwalb!) mit Zuckerpässen in Szene. TuRu Düsseldorf dagegen hatte allenfalls in Richard Ratka und Andreas Hertelt zwei Sternschnuppen. Die Mannschaft insgesamt muß sich in ihrer Geschlossenheit am Abstieg orientieren.

So blieb am Ende nur die Nachdenklichkeit darüber, wie sich binnen sieben Monaten zwei europäische Spitzenmannschaften auseinanderbewegten und sich nun wie entfernte Planeten begegneten. Am 23. Mai 1989, nur durch den Zeitunterschied von zwei Stunden getrennt, erwarf sich Essen den Europapokal der Pokalsieger, Düsseldorf gewann den IHF-Pokal. Für Hotti Bredemeyer jedenfalls ist der krasse Abfall keine Black box: „Barda war langzeitverletzt, es fehlen Fleißarbeiter wie Faulhaber und Hein, jetzt muß einer wie Thomas Rehse ran, und der ist keine einsachtzig, in der Abwehr ein Witz, aber ich habe keine anderen.“

Während Hotti nur nicht absteigen will, stöhnte Essens Manager Klaus Schorn in Kenntnis der Niederlage von Schutterwald bei Niederwürzbach (23:26): „Mensch, wir wären jetzt schon durch, wenn nicht diese Play-Offs wären.“ TuSEM Essen, alter und neuer Deutscher Meister? Am Mittwoch ging es wirklich um nichts, im März geht es dafür um alles.

Tabelle:

1.TuSEM Essen (21:7 Punkte), 2. VfL Gummersbach (17:11), 3. TuS Schutterwald (16:12), 4. TV Niederwürzbach (16:14), 5. SG Wallau-Massenheim (15:13), 6. TBV Lemgo (15:13), 7. TV Großwallstadt (14:10), 8. VfL Fredenbeck (13:15), 9. TSV Bayer Dormagen (12:14), 10. TSV Milbertshofen (12:16), 11. SG Weiche-Handewitt (12:16), 12. THW Kiel (11:17), 13. TuRu Düsseldorf (11:17), 14. DSC Wanne-Eickel (9:19)

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