„Zerschossene Blechkisten“ aus dem Golfkrieg

■ Die Tankerflotte des Iran ist nach der Ölkatastrophe vor der marokkanischen Küste schweren Vorwürfen ausgesetzt / Schiffe aus der Kharg-Serie in Rotterdam mehrfach am Auslaufen gehindert / Umweltschützer von Greenpeace jetzt unterwegs zum Unglücksschiff

Berlin (taz/ap) - Nach der Tankerkatastrophe vor der marokkanischen Küste, bei der aus dem iranischen Tanker „Kharg5“ bislang 70.000 Tonnen Rohöl ausgelaufen sind, steht - erneut - die (Un-)Sicherheit der Welttankerflotte zur Diskussion. Die iranischen Tanker der Kharg-Serie haben dabei allerdings eine Spitzenstellung und sind mit anderen Schiffen nur schwer vergleichbar. Sie waren während des Kriegs mit dem Irak sieben Jahre lang als Pendelschiffe im persischen Golf unterwegs, ihre Sicherheit ist stark umstritten.

Das Rotterdamer Hafenamt hatte am Mittwoch über den Zustand der iranischen Schiffe berichtet, die taz fragte gestern den Sprecher der Hafenbehörde, Schmelzer. Nach seinen Informationen sind in den vergangenen 14 Monaten iranische Tanker der Kharg-Serie insgesamt fünfmal wegen Verstößen gegen die Sicherheitsvorschriften in Rotterdam am Auslaufen gehindert worden. Die Inspekteure des Hafenamts hätten „ziemlich viele Mängel“ entdeckt. Als gravierend wurde zum Beispiel die defekte Gasschutzanlage moniert. Zwischen der Ölldung und Tankdecke werden Gase geleitet, die wiederum das Entstehen explosiver Gase aus dem geladenen Öl verhindern sollen. Diese Schutzvorkehrung sei „bei fast allen iranischen Schiffen“ beanstandet worden.

Schmelzer sagte, die iranischen Tanker seien während der Kriegsjahre kaum gewartet und anstehende Reparaturen vermutlich nicht rechtzeitig ausgeführt worden. Diese Zeit habe deutliche Spuren an den Schiffen hinterlassen. Einige Schiffe der Kharg-Serie seien mehrfach von irakischen Exocet -Raketen getroffen und dabei schwer beschädigt worden. In Schweden, wo mehrere iranische Tanker repariert worden sind, wurden die Schiffe sogar als „zerschossene Blechkisten“ (siehe Kasten) bezeichnet. So weit will Mijnheer Schmelzer nicht gehen, zumal bei den letzten Kontrollen im Rotterdamer Hafen keine Verstöße mehr festgestellt worden waren. Erst am 12. Oktober hatte „Kharg5“ den niederländischen Hafen ohne Einwände passiert. Dennoch bleibe es natürlich problematisch, so Schmelzer, daß diese über viele Jahre vernachlässigten und zum Teil schwer getroffenen Schiffe jetzt weiter über die Weltmeere fahren. „Es sind sicher nicht die sichersten“, blieb Schmelzer diplomatisch.

In Londoner Schiffahrtskreisen wurde die weltweit generelle Überalterung der Tankerflotten kritisiert. Die Supertanker müßten nach spätestens 15 bis 20 Jahren ausgemustert und verschrottet werden, forderte Geoffrey Garfield von der Fachzeitschrift 'Lloyds List‘. Nach Auskunft des britischen Tankerexperten Richard Golob hat die „Kharg5“ das Greisenalter für Supertanker bereits erreicht. Sie ist 15 Jahre alt. Während des Golfkriegs sei das Schiff aber „mindestens dreimal“ von irakischen Raketen getroffen worden.

Vor der marokkanischen Küste wird inzwischen weiter versucht, die Ölkatastrophe einzudämmen. Die Gefahr, daß das Schiff auseinanderbricht und damit weitere 200.000 Tonnen Öl auslaufen, ist nach wie vor akut. Bisher sind 70.000 Tonnen leichtes Rohöl ausgelaufen, das ist mehr als doppelt soviel wie bei der letzten Ölkatstrophe in Alaska. Bei dem bisher schwersten Ölunfall in der Geschichte der Schiffahrt waren im März 1978 220.000 Liter Rohöl ausgelaufen.

Das Unglücksschiff befand sich am Donnerstag nördlich der Kanarischen Inseln und bewegte sich im Schlepp von drei Schiffen auf die Kapverden zu, wo es Schutz finden soll. Das spanische Transportministerium hat allerdings nochmals bekräftigt, daß das Schiff nur dann in spanische Gewässer einlaufen dürfe, wenn es kein Öl mehr verliere und spanische Experten zur Aufsicht hinzugezogen werden

Unterdessen hat Greenpeace Kurs auf die Kapverden genommen, um gegebenenfalls die Einfahrt des Tankers in einen spanischen Hafen zu erzwingen. Das Flaggschiff von Greenpeace ist ein ehemaliger Schlepper. Die Umweltschützer wollen den Tanker in einen Hafen der Kanarischen Inseln ziehen, wenn die spanischen Behörden nicht die Genehmigung dafür geben.

Die Entsorgungsfirma „Smit Tak“ hatte die spanischen Behörden am späten Mittwoch um die Erlaubnis gebeten, sich den Kanarischen Inseln zu nähern. Bis Mittag hatte die Rotterdamer Firma seinen Angaben zufolge jedoch noch keine Antwort erhalten. Das marokkanische Fernsehen zeigte am Mittwoch Bilder, auf denen der Tanker auf hoher See zu sehen war. Das Schiff hatte Schlagseite und hinterließ eine breite Ölspur.

-man