Eine selbstverwaltete Kaserne in Beelitz

■ Forderungen der Soldatenräte in der Kaserne Beelitz erfüllt / Es ging um die Verkürzung des Grundwehrdienstes, die Überführung der Armeeangehörigen an ihre heimatlichen Arbeitsplätze und menschenwürdige Lebensbedingungen

„Weiche Knie“ hatte Unteroffizier Rex Müller schon, als die 350 anwesenden Soldaten in der Kaserne Beelitz in der Silvesternacht spontan den Ausstand probten. 20 Kilometer südlich von Potsdam wählten sie Soldatenräte, verfaßten einen 24 Punkte umfassenden Forderungskatalog und zogen vor das Kasernentor. Am Dienstag akzeptierte DDR -Verteidigungsminister Theodor Hoffmann diese Forderungen.

In der DDR wird der Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee nunmehr von 18 auf 12 Monate verkürzt, außerdem sollen die Soldaten in Zukunft einen Reisepaß und insgesamt mehr Rechte erhalten. Die Volkskammer will das von der Regierung neugefaßte Wehrdienstgesetz, das durch ein Zivildienstgesetz zur Regelung des zukünftigen 18monatigen Zivildienstes ergänzt werden soll, in der kommenden Woche verabschieden.

„Viele waren angesoffen“, erzählt Unteroffizier Müller von der Aktion an Silvester. „Wir waren uns sicher, daß wir nicht niedergeknüppelt werden, aber wenn welche von uns mit Gewalt angefangen hätten, das wäre ins Auge gegangen.“

Zu Gewalt kam es nicht, im Gegenteil. Die Beelitzer Bevölkerung unterstützte die streikenden Soldaten vor der Kaserne mit heißem Kaffee und Bratwürsten.

„Wir wollen menschenwürdige Bedingungen“, so die Losung. „Ich war einmal ein halbes Jahr in Starnsdorf“, beschreibt Unteroffizier Rex Müller die Situation, „da gab es kein warmes Wasser, da durften wir uns nur einmal die Woche duschen, da waren die Heizungen kalt, wir haben bei null Grad in den Zimmern geschlafen, das kann man sich nicht vorstellen. Das Essen war auch unter aller Sau.“

Zunächst standen die Lebensbedingungen der Soldaten in der Kaserne im Vordergrund. Dabei geht es den 2.000 in Beelitz stationierten noch relativ gut - Beelitz bei Potsdam war eine Vorzeigekaserne der alten DDR-Staatsmacht. „Es sind aber vor allen Dingen die zwischenmenschlichen Beziehungen von Vorgesetzten und Untergebenen“, meint Soldat Philipp Gabriel, „es geht nicht, daß die Offiziere länger ihren Frust an uns auslassen. Da konnte doch einer mit Rückendeckung einem befehlen, zehnmal den Flur zu putzen.“

Die streikenden Soldaten verfaßten einen 24-Punkte-Katalog. Dabei ging es von der Neuregelung der Essenseinnahme und der Besoldung über die Festlegung der Arbeitszeit auf 40 Stunden in einer 5-Tage-Woche bis zum Recht auf Befehlsverweigerung, wenn zum Beispiel Gesundheits-, Arbeits- oder Umweltbestimmungen nicht eingehalten werden.

An erster Stelle stand aber die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate und für Unteroffiziere auf zwei Jahre - rückwirkend - und an zweiter die Forderung der kurzfristigen „Überführung aller in der Volkswirtschaft stationierten oder dafür vorgesehen Armeeangehörigen (Arbeitskommandos der Ausbildungseinheiten) in ihre heimatlichen Arbeitsplätze in einem militärischen Dienstverhältnis“.

Die Offiziere erklärten sich weitgehend solidarisch mit den Soldaten, verwiesen aber immer auf den Verteidigungsminister. Die Soldaten streikten weiter, „da kam eben der Minister“.

Nur wollte der zunächst von einer Verkürzung des Wehrdienstes nichts wissen. Dadurch würden plötzlich 30.000 Soldaten fehlen.

„Da hab‘ ich dem Minister gesagt, dann rüsten wir doch einfach 60.000 Mann ab - einseitig, dann haben wir auch nicht mehr soviele Probleme in der Kaserne, das ist dann ein Beitrag zur Entspannung und Entmilitarisierung“, beschreibt Unteroffizier Müller sein Gespräch mit dem Verteidigungminister Hoffmann. Der verwies auf den Warschauer Vertrag. „Dann soll er sich halt mit den Jungs vom Warschauer Pakt zusammensetzen und das regeln.“ Der Minister telefonierte mit Ministerpräsident Modrow, versprach die Forderungen der Soldaten zu erfüllen.

Der Ausstand wurde beendet.

Rainer Wernicke/Ilona Marenbach