Die Strafe für den aufrechten Metzger

Behörden schikanieren oberbayerischen „Cäsium-Metzger“ / Verhängnisvoller Service und Protest nach Tschernobyl  ■  Von Luitgard Koch

München (taz) - Nachts um drei Uhr ist es soweit. Unter Polizeischutz beginnen Arbeiter und Vertreter des Landratsamtes mit Flutlicht und Preßlufthammer das Kühlhaus des Metzgers Dieter Jakob aus der oberbayerischen Gemeinde Emmering abzureißen. Grund: Das Gebäude sei ein Schwarzbau, so die Behörde. Seit vierzig Jahren gab es im Landkreis keinen Zwangsabriß mehr. Übliche Praxis war es vielmehr, Schwarzbauten im nachhinein zu genehmigen. Doch bei Jakob schalten die Behörden auf stur. Da hilft es nichts, wenn aufgebrachte Kunden bei CSU-Landrat Gottfried Grimm protestieren. Für Landrat Grimm ist nämlich ganz klar, und das verkündet er auch pathetisch in seinen Presseerklärungen: „Herr Jakob ist im Unrecht, und wer ihn stützt, stützt das Unrecht.“

Wie ein Metzger sich ins Unrecht setzen kann

Das angebliche „Unrecht“ des gewieften Fleischmarktbesitzers hat eine interessante Vorgeschichte: Der 46jährige Jakob wird nämlich auch „Cäsium-Metzger“ genannt. Nach der Katastrophe von Tschernobyl legte er sich ein Meßgerät zu und verkaufte Fleisch nur noch mit genauen Radioaktivitätsangaben. Zweimal erstattet der aufmüpfige Metzger in dieser Zeit Anzeige gegen den bayerischen Umweltminister Alfred Dick (CSU) wegen fahrlässiger Körperverletzung.

Während der ignorante Minister verkündet, daß Waldpilze wie Maronen kaum nennenswert verstrahlt seien, mißt Jakob bei den Pilzen 20.000 bq und veröffentlicht das auch in seinem Werbeblatt. Auch in Sachen verstrahlter Klärschlamm legt er sich mit dem Umweltministerium an. Während andere Bundesländer die Ausbringung des verstrahlten Klärschlamms direkt auf die Wiesen unterbinden, passiert in Bayern nichts. Zusammen mit den Leuten der Umweltschutzorganisation „Robin Wood“ kippt Jakob in einer spektakulären Aktion eine Ladung des strahlenden Schlamms vors Umweltministerium. „Seit diesen Gschichten ham mich die da oben dick“, glaubt Jakob.

Daß der Landrat von der Regierung unter Druck gesetzt wird, ist für ihn ganz klar. „Die vom Innenministerium haben bei ihm angerufen und wollten wissen, wie weit er denn schon ist in der Sache Jakob“, weiß der Metzger. Landrat Grimm hat es ihm natürlich nur bei einem Gespräch unter vier Augen gestanden. Auch die grüne Landtagsabgeordnete Ruth Paulig glaubt: „Das Ganze ist sicher wegen der Aufsässigkeit nach Tschernobyl.“

Die Stunde der staatlichen Rächer schlägt

Tatsache ist, daß der Metzger 1983 ordnungsgemäß den Bauplan zur Erweiterung des Kühlhauses bei der Gemeinde eingereicht hat. Der Plan wurde von der Gemeinde auch genehmigt und ans Landratsamt weitergeleitet. Zwei Wochen später ist Jakob mit seinem Architekten im Landratsamt und erhält dort eine mündliche Zusage, daß er sofort mit dem Bau beginnen könne. „Wenn die Gemeinde den Bau genehmigt hat, sehe ich vom Landratsamt her keine Probleme“, versichert ihm der zuständige Beamte. Der Metzger hat es auch eilig, weil bei dem heißen Sommerwetter das Fleisch möglichst schnell kühl gelagert werden muß. Doch im nachhinein wird nun das Kühlhaus zum Schwarzbau erklärt. Es sei sieben Meter zu lang, so das Landratsamt.

Petition nutzlos

Doch der Metzger gibt zunächst nicht auf und legt sich mit der Polizei an. Bei der Ortsbesichtigung der Behörden vor dem Zwangsabriß verbarrikadiert er sein Geschäft und sein Kühlhaus mit Eisenstangen und versteckt den Starkstromanschluß. Mit Polizeigewalt verschaffen sich die Beamten des Landratsamts Zugang. An Ministerpräsident, Max Streibl, schickt der couragierte Metzger einen Brief, in dem er ihn „dringend um sofortige Hilfe“ bittet. Außerdem reicht der „Strahlen-Metzger“ eine Petition im Landtag ein. Umsonst. Obwohl die Petition noch läuft, wird mit dem Zwangsabriß begonnen. Dieses Vorgehen ist eigentlich nicht üblich. Doch im bayerischen Innenministerium rechtfertigt man sich damit, daß die Petition sowieso negativ behandelt worden wäre. Einen Tag dauert es, bis das Kühlhaus abgerissen ist. Die Kosten des Zwangsabrisses: rund 22.000 Mark. Bezahlen muß sie der „Cäsium-Metzger“.