Buddeln am deutsch-deutschen Giftmüllberg

Parallel zu den Protesten vor Giftmülldeponien in der DDR legen die Grünen im Bundestag ihre „Technische Anleitung Abfallvermeidung“ vor / Die Strategen wollen das drohende Ende des Giftmülltourismus zur Ausweitung von Müllverbrennung und Deponien im Westen nutzen  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Die DDR will nicht weiter Schuttabladeplatz für bundesdeutschen Sonder- und Hausmüll bleiben. Jene Umweltschützer, die gestern vor den Deponien gegen den deutsch-deutschen Mülltourismus zu Felde zogen, können sich großer Unterstützung sicher sein, nicht nur im eigenen Land. Denn auch in der BRD wird mit der drohenden Schließung des Müllentsorgungsparks DDR Politik gemacht. Bundesumweltminister Töpfer malt seit Monaten den „Entsorgungsinfarkt“ an die Wand, heraufbeschworen durch die Aufgabe der jahrelang umstrittenen Sondermüllverbrennung in der Nordsee und die Wut der DDR-Opposition über die nonchalante Nutzung ihrer veralteten Deponien als Wohlstandsmüllklo des Westens. Töpfers und der meisten Bundesländer Antwort auf den drohenden Notstand: Entsorgungssicherung statt Müllvermeidung. Im Klartext: rasanter Neu- und Ausbau zahlreicher Müllverbrennungsanlagen und Deponien gegen den vorprogrammierten Widerstand der betroffenen Bevölkerung. Den Strategen des „Weiter so!“ in der Müllentsorgung scheint der Zeitpunkt günstig wie nie, die Umweltschützer West unter dem Vorwurf der St.-Florians -Haltung gegen die Umweltschützer Ost auszuspielen.

Mit einem Konzept, das, detailliert wie nie zuvor, versucht, das alte Schlagwort von der Müllvermeidung und umweltverträglichen Verwertung industriellen Sondermülls konkret zu machen, wollen die Bundestags-Grünen nun die Bundesregierung zwingen, Farbe zu bekennen. Mit einem Antrag, den die Abgeordnete Karitas Hensel gestern in den Bundestag einbrachte, verlangt die Fraktion der Grünen eine „Technische Anleitung (TA) Abfallvermeidung“ statt der für 1987 angekündigten und schließlich 1989 für den Bereich Sonderabfall veröffentlichten „TA Abfall“ der Bundesregierung. Ziel der Initiative ist es, den Giftmüllexport in die DDR, die Hochseeverbrennung und den „zwanghaften Ausbau der Verbrennungskapazitäten an Land“ überflüssig zu machen. Dazu soll Bonn noch in dieser Legislaturperiode ein ganzes Bündel von Verwaltungsvorschriften erlassen beziehungsweise die im Entwurf bereits vorliegenden Regelungen überarbeiten.

Bei der von Bund und Ländern vorbereiteten Vorschrift zur Behandlung sogenannter „Reststoffe“ der industriellen Produktion fürchten die Grünen, daß sich die Industrie durch einen einfachen Trick aus der Affäre zieht, indem „Reststoffe zum Produkt umdefiniert“ werden. Diesem „Definitionsproblem“, das bei zahlreichen komplizierten chemischen Umwandlungsprozessen und Metallgewinnungsverfahren auftritt, wollen die grünen Müllexperten dadurch beikommen, daß die Definitionsgewalt was ist Reststoff und was Produkt im industriellen Prozeß auf die für die Genehmigung der jeweiligen Anlagen zuständigen Behörden übertragen wird. Außerdem sollen in der Reststoffverordnung höhere Ansprüche an die sogenannte „Schadlosigkeit der Verwertung“ gestellt werden. Sonst könnte am Ende die paradoxe Situation eintreten, daß „die Verwertung von Reststoffen oder Abfällen zu größeren Umweltbelastungen führt als deren ordnungsgemäße Beseitigung“. Als Maßstab für die „relative Schadlosigkeit“ gelten den Grünen der Energieverbrauch und die Menge der bei der Reststoffverwertung „in die Umwelt eingetragenen gefährlichen Stoffe“, jeweils im Vergleich zur direkten Lagerung oder zu alternativen Verwertungswegen.

Ans Eingemachte geht es bei den „Mindeststandards“, die nach Überzeugung der Grünen an die Vermeidung und Verwertung des Giftmülls in zahlreichen Branchen und bei vielen Abfällen zu stellen sind. Von Lack- und Farbschlämmen über lösemittelhaltige Schlämme bis hin zu Leuchtstoffröhren oder Schlacken aus der Metallgewinnung und -verarbeitung sollen in insgesamt 20 Bereichen diese Mindestanforderungen bis Ende der Legislaturperiode eingehalten und danach einer dynamischen Verschärfung in einem drei- bis fünfjährigen Rhythmus unterworfen werden. Die Zeit drängt, schreiben sie, da die Entsorgung von 20 Prozent des bundesdeutschen Sondermülls in den DDR-Deponien „kurzfristig nicht mehr sichergestellt“ sei. Außerdem will die Öko-Partei zahlreiche insbesondere in der Chlorchemie beschrittene Abfallverwertungspfade verbauen, weil dabei wiederum „langlebige und ökotoxikologische“ Stoffe in großem Maßstab in die Umwelt gelangen. Einige hochgefährliche chemische Produktionsprozesse sollen wegen der unvermeidlichen hochgiftigen Reststoffe sogar ganz gestoppt werden. Zwar sei die „Nützlichkeit und Notwendigkeit“ dieser Stoffe unbestritten, in jedem Fall stünden jedoch Produktions -Alternativen zur Verfügung.

Karitas Hensel ist gespannt, wie der müllbesorgte Bundesumweltminister gegen die „TA Abfallvermeidung“ argumentieren wird. Über das Schicksal des Antrags allerdings macht sie sich wenig Illusionen. Er wird im Bundestag abgelehnt werden - und zwar am späten Abend, wenn üblicherweise das Thema Ökologie auf der Tagesordnung steht.