Wird Bush sich an der Ananas verschlucken?

■ Die Auslieferung Noriegas an die USA könnte sich für den US-Präsidenten als Pyrrhussieg erweisen

Gestern morgen schien US-Präsident Bush am Ziel seiner Wünsche. Unter Triumphgeheul wurde das „Ananasgesicht“ General Noriegas auf dem Flughafen Miami entladen. Nun muß sich zeigen, ob die Vorwürfe tatsächlich für eine Anklage reichen und welche Enthüllungen Noriega über die US-Rolle im Drogenhandel auf Lager hat.

Die Nachricht machte blitzschnell die Runde. Kurz nachdem Manuel Antonio Noriega sich Mittwoch nacht nach Tagen intensiver Verhandlungen der Invasionsmacht ergeben hatte und zur Howard Luftwaffenbasis in Panama geflogen wurde, begann in den Straßen der Hauptstadt ein Jubelkonzert auf leeren Kochtöpfen. Den Instrumenten, mit denen die Opposition monatelang vergeblich den Rücktritt des Generals gefordert hatte. Die Raketen, die in der Silvesternacht nicht abgefeuert werden durften, knallten plötzlich durch die laue Nacht. Noriega, der zehn Tage lang in der apostolischen Nuntiatur gegen seine Auslieferung gekämpft hatte, befand sich bereits an Bord einer C-130 -Militärmaschine unterwegs zur Homestead Airbase in Florida.

„Noriega hat sich freiwillig ergeben. Es stecken keine Deals dahinter“, versicherte General Maxwell Thurmond. Der Kommandant des Southern Command der US-Streitkräfte in Panama, George Bush, verkündete gleichzeitig im Weißen Haus, daß jetzt alle Ziele der Panama-Invasion erreicht seien. Noriega soll in Miami umgehend wegen Drogenvergehen vor Gericht gestellt werden. Die US-Regierung hat sich lediglich verpflichtet, einen fairen Prozeß zu garantieren und den Angeklagten keinesfalls mit der Todesstrafe zu bedrohen. Wenn Noriega sonst wirklich keine Zugeständnisse herausholen konnte, muß man sich fragten, warum der ehemals starke Mann es nicht vorgezogen hat, sich der neuen Regierung von Panama zu stellen oder in einem Drittland Asyl zu suchen. US -Kommentatoren weisen darauf hin, daß in den Vereinigten Staaten seine Sicherheit eher garantiert sei und daß er außerhalb der USA die Rache der einstigen Geschäftspartner, des kolumbianischen Drogenkartells von Medellin, fürchten müsse. Außerdem kann der ehemalige CIA-Informant Noriega kompromittierendes Material gegen George Bush, das er angeblich in der Hand hat, in den USA eher ausspielen. Als der heutige Präsident der USA noch CIA-Chef war, stand Noriega dem panamaischen Geheimdienst vor.

Eine machtvolle Demonstration von mehreren Tausend Anhängern der neuen Regierung hatte noch wenige Stunden vorher vor der Nuntiatur die Herausgabe des flüchtigen Diktators gefordert: „Rückt ihn raus!“, „Keine Gnade für den Tyrannen“. Die Sprechchöre ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Viele aus der Oberschicht schwenkten das Sternenbanner oder machten durch ihr T-Shirt deutlich, auf wessen Seite sie standen. Nur wenige Tage nach der US -Invasion wurden im Straßenverkauf die Hemden mit dem Aufdruck „operation just cause“ und der Flagge der USA an der Seite der panamaischen angeboten.

Selbst von seinen ehemaligen Anhängern hat Noriega zu diesem Zeitpunkt wenig Unterstützung zu erwarten. Ihm wird übelgenommen, daß er sich unter der Soutane des Nuntius verkroch, statt wie ein würdiger Macho im ungleichen Kampf zu fallen. Während Noriega im goldenen Käfig der Nuntiatur saß, schmachten viele Mitglieder seiner ehemaligen Truppen und Regierung in einem Gefangenenlager der US-Armee.

Hinter ausgedehnten Sümpfen und Zuckerrohrfeldern, unweit des Westufers des Kanals, liegt „Empire Range“, ein Schießplatz der US-Truppen. Am Tage der Invasion wurde das Gelände mit Nato-Draht abgezäunt und blitzschnell in ein Detention Center mit einer Kapazität für 1.500 Häftlinge verwandelt. Rund 250 Neuankömmlinge stehen in Reih und Glied vor einer Baracke und warten auf ihr Verhör. „Die meisten von ihnen werden anschließend wieder nach Hause geschickt,“ versichert Sergeant Carmelo Tosado aus Puerto Rico, der seit 19 Jahren in der US-Armee dient. Es handle sich größtenteils um Unteroffiziere der aufgelösten Verteidigungskräfte, denen die Chance gegeben wird, sich in die neue Polizeitruppe einzugliedern, wenn sie der durch die Invasion eingesetzten Regierung die Treue schwören. Zurück bleiben diejenigen, gegen die ein Strafverfahren eröffnet werden soll, erklärt Hauptmann Kerry Skelton, der Kommandant des Camps. 818 Gefangene gebe es derzeit in „Empire Range“, darunter auch einige gewöhnliche Kriminelle, die während der Plünderungen festgenommen wurden oder aus den Gefängnissen entkommen sind. Über 4.000 Personen sind bisher verhört worden.

Die Verhöre führten Experten eines militärischen Geheimdienstbataillons aus Fort Bragg, die im Lager überhaupt den Ton angeben dürften. Auch die Entscheidung, ob jemand vor Gericht gestellt oder heimgeschickt wird, liegt ausschließlich bei der US-Armee. Selbst die Juristen, die dafür sorgen sollen, daß der Buchstabe des Gesetzes beachtet wird, sind Angehörige der Invasionstruppen. En passant erfährt man, daß sich auch der ehemalige Handelsminister unter den Häftlingen befindet, eingestuft als White-Collar -Criminal. Kontakt mit Journalisten ist den Gefangenen genauso untersagt wie Familienbesuche. Unsere Kleingruppe von ausländischen Korrespondeten wird im Jeep durch das Lager transportiert. Die Spielregeln verbieten es sogar, auf Zurufe der Insassen zu antworten. „Es handelt sich nicht um Kriegsgefangene, da wir keinen Krieg erklärt haben“, erläutert Captain Skelton. Dennoch werde die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen angewandt.

Die legale Basis für dieses Lager ist genauso unklar, wie die völkerrechtliche Rechtfertigung der Invasion überhaupt. Auch für die Überstellung von Gefangenen zur Aburteilung in den USA fehlt jede seriöse juristische Grundlage. Zuletzt wurde ein obskurer Vertrag aus dem Jahr 1961 herangezogen, der die Zuständigkeit der US-amerikanischen Justiz begründen soll. Oberst del Cid und ein Offizier namens Daniel Miranda wurden bereits vor einigen Tagen nach Florida verschleppt, wo sie wegen Drogenvergehen angeklagt wurden. Die Zivilregierung wurde gar nicht gefragt. Auch im Falle Noriega heißt die vorsichtige Formulierung, die panamaische Regierung habe „Kenntnis von der Abreise des Generals“.

Ralf Leonhard, Panama-Stadt