piwik no script img

Himmelsprung hopp hopp

■ Die letzte Sonderausstellung im Münchner Haus der Kunst: „Kunstdrachen - Bilder für den Himmel“

Freischwebend in leuchtendroter Farbe mit prächtigbunten Bändern an beiden Seiten baumelt der dreikreisige Kunstdrache zwischen Decke und Boden. 120 Schnüre halten ihn auf der Erde. „Himmelsprung hopp hopp“ nennt der japanische Künstler und Bildhauer Toyoshige Watanabe seinen „Baramon -Drachen“. Ganz in pergamentenem Braun dagegen der Drache des deutschen Politkünstlers Klaus Staeck mit der nüchternen Aufschrift: „Vorsicht Kunst“.

Drachen haben ihre Hoch-Zeit eigentlich im Herbst. Nicht so die Kunstdrachen im Münchner Haus der Kunst. Ihre Geschichte ist eine andere: 1988, im Jahr des Drachen, animierte Paul Eubel, der ehemalige Leiter des Goethe-Instituts in Osaka, hundert Künstler aus aller Welt, Drachen zu entwerfen und zu bemalen. Von Friedensreich Hundertwasser bis zur französischen Künstlerin Niki de St. Phalle schufen alle ihre eigenen Fabelwesen. Die fliegenden Bilder sind auf kostbarem, handgeschöpftem Japanpapier gemalt. Gebaut wurden die bizarren phantastischen Wunderwerke von den japanischen Altmeistern der Drachenbauzunft. Im Frühjahr absolvierten die „Himmelsbilder“ ihren Jungfernflug im Park vor dem „Schloß des Weißen Reihers“ im japanischen Himeiji. Nach dieser ungewöhnlichen Vernissage wurden die Drachen eingefangen und auf Welttournee geschickt. Erste Station: das Haus der Kunst in München. Enden wird die vierjährige Drachenreise rund um den Globus - von Moskau über Berlin und Wien nach Lissabon - in New York. Dort werden die Drachenbilder zugunsten der UNO-Katastrophenhilfe versteigert.

Ein Hauch von güldener Poesie, so hängt der fragile Fächerdrachen „Full Moon“ im Raum. Toshimitsu Imai arbeitete mit der traditionellen japanischen Goldgrundtechnik. Der aus Kyoto stammende Künstler war der erste Maler, der 1957 abstrakte Malerei nach Japan brachte. Gut zwanzig Jahre später überrascht der Maler die Kunstwelt damit, daß er wieder auf die klassische Goldgrundmalerei zurückgreift. Drachen, bei uns ein Kinderspielzeug, haben in Japan eine jahrtausendealte Tradition in der Erwachsenenwelt. Im Glauben, die Dämonen würden magisch von den steigenden Drachen angezogen und folgten ihrer Flugbahn, ist es auch heute noch Brauch, in der Neujahrsnacht kleine weiße Drachen fliegen zu lassen. Aus Angst vor diesen Verfolgern wagt es auch niemand, einen Drachen anzufassen, der abgestürzt ist. Der böse Zauber der Dämonen könnte ja noch an ihm kleben. Auch bei der Geburt eines Kindes steigen in Japan die Drachen in die Luft. In unseren Breitengraden sind die Drachenflüge dagegen gänzlich entmysthifiziert. Da geht es wesentlich profaner zu: Drachensteigen fällt nämlich unters Luftfahrtgesetz. Die Japaner kennen nicht nur eine Drachenform. Über dreihundert verschiedene traditionelle Drachenformen mit so exotischen Namen wie Rokkaku- oder Tsogaru-Drache existieren im Fernen Osten. Sieben davon wählte Eubel als Vorgabe für das Projekt aus. Alle Malstile von naiver Malerei, Op-Art, Konzept-Kunst bis hin zu den neuen Wilden - die Drachenhaut transportiert sie geduldig.

Dem Besucher der Ausstellung werden aber nicht nur fertige Kunstprodukte geboten. Im Obergeschoß wird über die verschiedenen Techniken des fernöstlichen Drachenbaus informiert und wie das wertvolle Japanpapier hergestellt wird. Im Angebot sind regelmäßige Papierfaltabende, Workshops mit japanischen Drachenbaumeistern und Vorträge über die Mythologie des Drachens. Und wer sich eine ganz aktuelle Drachenspezies zulegen will, kann im eigens eingerichteten Papierladen einen kleinen Drachen in Trabi -Form kaufen. Den hat sich Michael Stelzer, Besitzer des Berliner Drachenfachgeschäfts „Vom Winde verweht“ ausgedacht.

Daß die bunt-verträumten Ungeheuer auch im geschlossenen Raum nichts von ihrer Faszination verlieren, ist eine Leistung des Münchner Ausstellungsteams. Zum letzten Mal bemühte sich die Crew, Kunst den richtigen Rahmen und Raum zu geben. Denn die Kunstdrachenausstellung ist der „Höhenflug vor dem Absturz“. Am Ende dieser Sonderausstellung muß Hitlers ehemaliger Musentempel nämlich seine Pforten schließen. Grund: der baulich-verrottete Zustand, keine Klimaanlage, veraltetes Heizsystem und nicht zuletzt fehlende Finanzen. Der Freistaat kann sich weder aufraffen, die Mittel für den Umbau, etwa 15 bis 20 Millionen Mark, zur Verfügung zu stellen noch (wie es im ebenso sauber-konservativen High-Tech-Ländle Baden -Würtemberg längst üblich ist) eine Haftung für die Versicherung wertvoller Objekte zu übernehmen. Der staatliche Zuschuß von 352.000 Mark jährlich, der erstmals 1987 gnädig gewährt wurde, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Bis dahin mußte die Ausstellungsleitung Haus der Kunst e.V. ohne staatliche Subventionen auskommen. Lediglich der Förderverein, ein Verein von kunstinteressierten Privatpersonen und Vertretern aus Industrie und Wirtschaft, sponserte die Ausstellungsleitung mit 500.000 Mark im Jahr. Doch die Gelder von Staat und Förderverein decken inzwischen gerade die jährlichen Verwaltungskosten der Ausstellungsleitung. Den Angestellten wurde bereits fristlos gekündigt, ohne Sozialplan.

Luitgard Koch

Bilder für den Himmel. In München noch bis zum 18.Februar 1990. Ausstellungskatalog 49 DM, im Buchhandel 98 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen