„Wir wären die Prätorianergarde gewesen“

■ Aussteiger aus dem in Lehrgängen in der DDR militärisch ausgebildeten Kader der DKP hielt die Schlagkraft der Truppe für irrelevant / RAF-Umstieg „eher abwegig“ / Schaden „für jede vernünftige Form des Antifaschismus“ / In der DKP ging nichts weiter, „das lag an den Finanzen und der SED-Abhängigkeit“

Der erste 'Spiegel‘ im neuen Jahr 1989 titelte reißerisch „Schüsse am Scharmützelsee“. Er präsentierte den Mann mit dem Decknamen Lothar Oertel als in der DDR ausgebildeten potentiellen Killer, der als „Überläufer“ aus den Reihen der DKP und deren „illegaler Partisanenarmee“ auf bundesdeutschem Boden ausgeschieden sei. Nur Blut ist nie geflossen und sollte es wohl auch nicht. Die taz sprach mit Oertel, dem wir diesen Namen belassen, über das sich auflösende Grüppchen, das, von der SED hierarchisch betreut, seit 15 Jahren ein Schattendasein führte. Gegen Oertel, der sich vor einer Woche der Staatsanwaltschaft in Frankfurt stellte, wird inzwischen ermittelt. Der Verfassungsschutz bestritt, daß es die von ihm geschilderte Gruppe überhaupt gegeben hat.

Oertel: Wenn ihr mich nach den Zielen der Organisation fragt, muß ich sagen, daß es zu keinem Zeitpunkt Aktionen gegeben hat, auch keinerlei Planung dafür. Ein Teil des Komplexes ist der politisch-militärische Hintergrund, der uns erläutert wurde, der andere Teil ist die militärische Ausbildung. Also nicht in dem Sinne, daß wir gesagt bekamen, wir müßten dann und dort zu dem Zeitpunkt etwas Bestimmtes machen. Das war, und das ist immer wieder ausdrücklich gesagt worden, nur auf Weisung eines übergeordneten Kommandos vorgesehen. Es bleibt offen, wer das im Zweifelsfall gewesen wäre. Der Befehl wäre dann über konspirative Verbindungen gekommen und nicht schriftlich.

taz: Ihr wärt also nur auf ausdrücklichen Befehl tätig geworden?

Ja! Mögliche Einsatzsituationen waren, so haben wir das gelernt, ein imperialistischer Krieg gegen die sozialistischen Staaten, ein Nato-Angriff mit oder ohne Beteiligung der Bundesrepublik, ein Krieg gegen national befreite Staaten oder nationale Befreiungsbewegungen mit Unterstützung durch die Bundesrepublik als logistische Basis, eine reaktionäre Wende in der Bundesrepublik mit Tendenzen zu einem faschistischen Regime oder ein Aufschwung der revolutionären Arbeiterbewegung, den die Herrschenden gewaltsam unterdrücken. Das war, im groben, das Szenario. Bei unserer Ausbildung für diese Situationen ging es um den Einsatz von Kampfgruppen. Dazu hätten dann auch Waffen und die nötigen Materiallager gehört. Sie umfaßte das Sprengen von Verkehrseinrichtungen, das Legen eines Hinterhaltes zum Abfangen von Transporten, das zeitweilige Besetzen von x -beliebigen Objekten, das Erbeuten von Dokumenten, sprengen von Strommasten und Einrichtungen des Kommunikationsnetzes, alles in Guerillataktik. Dafür gab es auch ein Lehrbuch.

Also mal ketzerisch: Aufgrund der Erfahrungen im Faschismus könnte ein Kommunist ja auch sagen, daß so eine Einrichtung gar nicht so schlecht ist.

Man hat sich auf diese Tradition immer viel zugute gehalten. Wir sind gleich am Anfang politisch-ideologisch auf die ungebrochene Tradition seit der November-Revolution eingestimmt worden.

Seit wann gab es die Organisation?

Ich war, denke ich, recht früh drin, seit 1975.

Dann kam das Besinnen auf die Tradition aber relativ spät...

Ich vermute, daß es schon vorher eine Kontinuität gab. Nicht als ausgebaute Organisation. Es gab auch bei den politischen Lehrgängen der illegalen KPD in der Bundesrepublik immer eine Schießausbildung nebenbei. Das lief mehr spielerisch nebenher. Das ist Anfang der 70er Jahre abgeschafft worden.

Und warum ist das dann wenig später organisiert wieder aufgelebt?

Das kann ich nur vermuten. Als ich für die Organisation gewonnen wurde, wurde natürlich ein Bezug zu Chile hergestellt. Ich halte das aber nicht für den eigentlichen Beweggrund. So schnell hätte keine so perfekte Organisation auf die Beine gestellt werden können.

Ist es nicht eine gewisse Schizophrenie, einerseits an diese Tradition der Arbeiterbewegung anzuknüpfen, andererseits militanten linken Gruppierungen in der Bundesrepublik politisches Abenteurertum vorzuwerfen, wie die DKP das immer wieder getan hat, zum Beispiel der RAF.

Das hat in den Anleitungsgesprächen immer wieder eine Rolle gespielt. Wir haben uns denen gegenüber immer als die Profis gefühlt und haben uns da abgegrenzt. Wenn wir selber gehandelt hätten, wäre das in die Massenstrategie eingebunden gewesen. Alles andere sei Abenteurertum und Terrorismus. Natürlich ist das schizophren. Aber anders hältst du das nicht durch. Das ist die Schizophrenie, wenn man sagt, gegenüber dem Klassengegner ist alles erlaubt und heiligt der Zweck die Mittel.

Hast du gewußt, wer mit dir in einer Kampfgruppe ist?

Die konspirative Regel war eigentlich: eine Verbindung nach oben und zwei nach unten. Das ist aber nie so eingehalten worden. Schon bei der Ausbildung waren mehr zusammen. Die jeweils obere Ebene in der Bundesrepublik wußte Bescheid. Das habe ich immer für einen Verstoß gegen die Regeln gehalten.

Man hat ja nicht viel von der Klandestinität in so einer kleinen Partei, wenn man nicht konspirieren kann. Könnte es sein, daß mehr Leute Bescheid gewußt haben?

Eigentlich, wenn es wirklich nach stalinistischen Regeln zugegangen wäre, hätten Herbert Mies und Ellen Weber das gar nicht wissen dürfen. Ich denke aber, wenn man dann zusammensaß und die Prahlerei losging, daß durchaus gesagt wurde: Also, Herbert, wir haben hier was laufen.

Haben die zum Beispiel über dich Bescheid gewußt?

1987 war ich auf einem - wirklich nur - politischen Lehrgang. Da haben mich dann schon ältere Genossen auf „meine Sachen da“ angesprochen. Andererseits hat mir jetzt einer gesagt, er hätte vor Jahren wirklich nur eine dumme Bemerkung gemacht, als er mich nach meinen drei Monaten Ausbildung in der DDR wegen meiner kurzen Haare gefragt hatte: Mensch, warst du auf einem Militärlehrgang?

Aber ich bin sicher, daß viele gewußt haben, daß die SED so einen Zauber veranstaltet. Daß die SED an Kadern für die Vorbereitung der Illegalität arbeitet, wußten meines Erachtens ab Bezirksebene all jene, die mit Kaderbeurteilungen zu tun hatten.

Was bitte ist eine Kaderbeurteilung?

(Sehr ironisch:) Ein Kader ist ein zuverlässiger Aktivist, der fest und prinzipientreu zur Parteilinie steht. Um den zu finden und in die Kaderplanung einzubinden gab es etwas, daß man Beurteilungswesen nennen könnte. Den Begriff gab es in der DKP zwar nicht, aber es gab das Wesen. Schon ab Kreisebene wurden ständig Beurteilungen geschrieben.

Und das ging nach besonderen Fähigkeiten?

Ja. Es gab vierzehn Kaderkriterien, die für die DKP allgemein galten. Dazu gehörten die soziale Herkunft, politischer Werdegang, Beruf, Prinzipienfestigkeit. Heute kann ich mir darunter auch nicht mehr viel vorstellen. Und dann gab es für diesen internen Militärbereich drei zusätzliche Kriterien: Gesundheit, also Tauglichkeit, psychische Belastbarkeit in besonderen Situationen und militärische Vorkenntnisse. Das wurde von den Leuten abgefragt, die in der Kaderabteilung des Parteivorstandes saßen. Homosexuelle kamen nicht in Frage. Das habe ich in einem Fall erlebt. Diese drei militärischen Kriterien wurden parallel beurteilt und landeten direkt bei dieser Stelle in der DDR, von der ich nicht weiß, wie man sie eigentlich nennen soll. Es waren auf jeden Fall deutsche Kommunisten, also der Militärapparat der SED.

Gab es örtliche Schwerpunkte?

Nach meiner Meinung lag der Schwerpunkt hier im südhessischen Raum. Ich schätze die Zahl der Ausgebildeten insgesamt auf zwischen 200 und 300.

Das ist ja relativ wenig für 15 Jahre Ausbildungstätigkeit.

Ja. Ich habe auch immer gedacht, obwohl diese Kritik nie anzubringen war, daß sich das Ding mehrfach als unrealistisch erwiesen hat. Es wurden nur Kader ausgebildet, in den 80er Jahren sogar mehr als in den 70ern. Aber die wurden mehr in den Ordnerdienst geschoben. Da war auch nicht mehr die Rede davon, Örtlichkeiten auszugucken wie früher. Es war schon spürbar, daß das alles so nicht geht. Das ist schließlich alles auch deswegen eingeschlafen, weil Leute aus der Partei ausgetreten sind. Da wurden dann auch Lehrgänge abgesagt. Schon ausgebildete Leute, zum Beispiel aus Bremen, haben sich vor einer Weiterbildung als Erneuerer erwiesen. Und damit war es dann auch zu Ende mit den Lehrgängen. Das war Anfang 1989, nachdem der Hermann Axen mitgekriegt hat, was auf dem Parteitag los ist. Früher hat das ja nie jemand der SED gesagt. Und wenn jemand was gesagt hat und es nicht der Herbert Mies war, dann hat man es nicht geglaubt. Bei dem Parteitag hat die SED zum ersten Mal mitgekriegt, was in der DKP los ist.

Was hat dir denn so zu denken gegeben, daß du an die Öffentlichkeit gegangen bist?

Ich bin im Sommer 1989 ausgetreten. Ich hatte Sympathie für die Bewegung von unten in der DDR. Und als ich dann die Stasi-Akten habe brennen sehen, die die selber angesteckt hatten, habe ich gemerkt, daß ich in einem Zwiespalt war: Bist du dafür, daß die Akten verbrannt werden, damit nichts rauskommt? Da war natürlich auch mein Foto dabei, meine Unterschrift, ganze Kladden mit meiner Schrift aus dem Unterricht, Kartenmaterial. Oder soll alles erhalten bleiben, damit man aufklären kann, was los ist? Oder soll das einfach versanden. Und das ging für mich einfach nicht auf. Nicht weil ich Angst hatte. Aber ich habe gemerkt, ich bin zwar aus der DKP ausgetreten, aber ich bin damit nicht im reinen. Wenn die Blütenträume der SED/DKP für die Bundesrepublik aufgegangen wären, wäre es in der DDR noch viel härter geworden. Da ist mir klargeworden, daß diese Organisation hier - ob der einzelne es gewollt hätte oder nicht - sowas wie die Prätorianergarde geworden wäre.

Befürchtest du strafrechtliche Konsequenzen für dich?

Ich hoffe, daß das nicht so hart kommen wird. Ich sehe meine Entscheidung auch nicht als Beitrag zur Erneuererbewegung. Aber es tut sich schon was in der DKP. Eine ehemalige Kreisvorsitzende hat mir jetzt geschrieben, daß sie sich heute Sachen erklären kann, die sie früher nicht begriffen hat. Sie war für „Sicherheit und Ordnung“ zuständig und ahnte was von einer zusätzlichen Organisation. Sie hatte aber immer gedacht, daß sei so eine Art parteiinterner Stasi. Man muß sich das mal vorstellen: Da wurde in der Partei wie verrückt diskutiert, und trotzdem ging nichts weiter. Das lag an den Finanzen, das lag an den Kaderplänen und der Abhängigkeit zur SED. Und ich weiß nicht, ob das, was da jetzt an Verkettungen noch rauskommt, wirklich alles ist. Eins ist klar: Es gibt Hunderte - Männer natürlich, und keine Schwulen (???; d.K.) -, die in den letzten 15 Jahren die bewußten Einladungen zu Kadergesprächen in Berlin-Ost hatten. Die wurden dann mit dem Auto in eine Wohnung zu einem Gespräch mit einem älteren Genossen gefahren, von dem man nicht genau wußte, ob er aus der SED oder der DKP ist. Dabei ging es dann auch um revolutionäre Gewalt. Und das Gespräch ist dann, nach einer überschlafenen Nacht, versandet. Der wurde dann verabschiedet mit der Bitte um Stillschweigen: Reisegeld, Ticket über Tegel und ab nach Hause. Und die merken jetzt: Aha, das war das also. Da ist teilweise auch Enttäuschung dabei. Das ist ja auch alles ein bißchen interessant und abenteuerlich. Die fragen sich jetzt: Warum ich nicht?

Du nimmst nicht an, daß Leute in die RAF abwandern?

Ich schließe nichts aus. Aber ich halte das erst mal für abwegig.

Im 'Spiegel‘ wirst du als kalter potentieller Killer beschrieben. Ich sehe hier erst mal einen relativ freundlichen Intellektuellen. Wie erklärst du dir das?

Kennst du die Heisenbergsche Unschärferelation. Es wird beides stimmen.

In der RAF gibt es auch Omnipotenzgefühle.

Ich denke, daß es da keinen großen psychologischen Unterschied gibt. Ich hab mich immer damit gerettet, daß ich mir gesagt habe, daß mir das alles keinen Spaß macht. Mir ist erst im letzten Jahr klargeworden, genau wie bei der RAF, daß da ungelöste Autoritätskonflikte sind. Mein Vater war Berufsoffizier bei der Wehrmacht. Und ich habe gemerkt, daß ich aus krasser Ablehung heraus da gelandet bin, wo er war. Das ist die Tragik einer ganz bestimmten Variante des Antifaschismus. Da ist mit dem Geld der SED ein Riesenschaden für jede vernünftige Form des Antifaschismus entstanden.

Wie haben euch denn eure Führungskader den Widerspruch zwischen der offiziellen Friedenspolitik der DKP und dem Sinn eurer Ausbildung erklärt?

(Sehr ironisch:) Das ist ein Widerspruch, aber der ist dialektisch! Das ist Klassenkampf. Den Widerspruch haben aber auch Christen in Nicaragua und El Salvador. Daß man Gewalt anwendet, obwohl man sie eigentlich ablehnt.

Das erinnert aber doch schwer an die RAF.

Das will ich nicht abstreiten. Das Attentat auf Herrhausen war auch so ein Wendepunkt für mich, obwohl ich natürlich wußte, daß das niemand aus der DKP war.

Kannst du ausschließen, daß einer eurer Kader doch mal tätig geworden ist? Zum Beispiel bei Strommasten?

Ich glaube das nicht. Im Gegenteil.

Warum haben die Waffenlieferungen aus der DDR nie geklappt?

Es gab da nur eine Planung die ich kenne. Das war wohl nur ein Test, wie weit die Leute gehen würden. Die materielle Basis war gleich Null. Der eine oder andere hatte ein illegales Quartier bei einem älteren DKP-Genossen organisiert. Das war aber auch alles. Das hätte alles nie klappen können. Die Ansprüche waren viel zu hoch gehängt. Wenn du Leute mit so langer Kampferfahrung haben willst, die aber nie dem Gegner aufgefallen sind, wie soll das denn gehen?

Könnte es, theoretisch, auch Waffenlager in der Bundesrepublik geben?

Von der Konzeption her wäre das möglich. Ich weiß das aber nicht. Von der Theorie her waren Personal und Material strikt getrennt. Interview: Michael Blum

und Heide Plate