Blockade total

Die Bundeswehr im luftleeren Raum  ■ K O M M E N T A R

Die Reaktion ist symptomatisch: Die DDR beschließt, den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee auf ein Jahr zu reduzieren, und das Bonner Verteidigungsministerium fühlt sich nicht einmal bemüßigt, diesen Schritt zu bewerten. Doch das peinliche Schweigen hat durchaus seine eigene Logik. Seit das gesamte Bonner Establishment über die revolutionären Umwälzungen in der DDR redet, hat die Bundeswehr es verstanden, den Eindruck zu erwecken, als gehe sie dies überhaupt nichts an.

Im Herbst wurde im Bundestag ein Rekordhaushalt verabschiedet, substantielle Veränderungen der Bundeswehrplanung für die 90er Jahre stehen nicht zur Debatte. Forderungen der Opposition behandelt Stoltenberg so, als sei er die falsche Adresse: die Wiener Verhandlungen über konventionelle Abrüstung müßten erst einmal Ergebnisse zeitigen. Bisher hat die Bundesregierung von sich aus nicht mehr gemacht, als sie völlig unabhängig von der Entwicklung in Osteuropa sowieso hätte tun müssen: den Sollbestand der Bundeswehr an die kommenden geburtenschwachen Jahrgänge anpassen.

Immer wieder ist in diesen Wochen - zu Recht - darauf hingewiesen worden, die Ereignisse in der DDR könnten nicht ohne erhebliche Rückwirkungen in der Bundesrepublik bleiben. Dies gilt für den Demokratiebegriff, das Sozialsystem und die ökonomische Entwicklung insgesamt. Am unmittelbarsten umsetzen aber ließe sich eine adäquate Reaktion im militärischen Bereich. Doch statt Konsequenzen zu ziehen, beklagt die Bundeswehrführung den Verlust des Feindbildes und damit der Motivation der Soldaten. Immer neue Konstruktionen müssen dafür herhalten, warum man nicht tut, was doch auf der Hand liegt: die Wehrpflicht drastisch reduzieren oder ganz abschaffen. Dazu gehört eine Planung, die einlöst, was angeblich schon immer der Fall war: der Umbau der Bundeswehr in eine Verteidigungsarmee, die, im Jargon der Militärs, strukturell angriffsunfähig ist.

Jürgen Gottschlich