Anti-rechts-Wahlkampf der SED

■ Ärger über Großdemonstration gegen Neonazi-Tendenzen / Blockparteien und runder Tisch werfen der SED Funktionalisierung zu Wahlkampfthema vor / Opposition weigert sich, gemeinsamen Aufruf zu starten

Berlin (taz/afp/ap) - Der Umgang mit rechtsradikalen Tendenzen in der DDR und ihre Bekämpfung waren auch gestern Streitthema zwischen der Noch-Regierungspartei SED-PDS und den übrigen Parteien und Gruppierungen. Der Vorwurf, die SED und ihre Medien schürten bewußt die Angst vor neonazistischen Strömungen, um sie als Wahlkampfthema für sich funktionalisieren zu können, wurde am Freitag in der DDR-Presse kontrovers diskutiert.

So schrieb das SED-Organ 'Neues Deutschland‘, neonazistische Kräfte nutzten den Umstand aus, „daß sich vorhandene Strukturen auflösen, neue aber noch nicht entstanden sind“. Selbst die Spürhunde, so beklagt das 'ND‘, seien ausgemustert worden - wegen Vorbelastung. Unterlagen des ehemaligen Ministeriums über Aktivitäten der rechtsradikalen Szene und V-Leute würden faktisch „auf Eis“ liegen.

Im selben Tenor hatte Regierungssprecher Meyer am Vortag erklärt, daß die Forderung des runden Tisches, den Verfassungsschutz erst nach den Wahlen am 6. Mai zu schaffen, dazu führe, daß „nicht wiedergutzumachendes“ Terrain verlorengehe und daher von der Regierung nicht angenommen werde. Das 'Neue Deutschland‘ lobte die Kriminalpolizei in Gera, der es gelungen sei, innerhalb von weniger als 48 Stunden die Täter zu ermitteln, die den dortigen sowjetischen Soldatenfriedhof geschändet hätten. Auch die Ost-'Berliner Zeitung‘, ein Blatt im Eigentum der SED, erklärte, die Angst vor einem „Vierten Reich“ sei „kein Wahlkampftrick der Linken“, sondern Realität.

Auch CDU-Zeitung

beklagt sich

Die Anti-Neonazi-Kampagne der SED-PDS, die am Mittwoch in eine Großdemonstration am Treptower Ehrenmahl für sowjetische Gefallene gipfelte, stößt währenddessen auch auf Kritik der Koalitionspartner der SED, den ehemaligen Blockparteien. Die Zeitung der DDR-CDU 'Neue Zeit‘ beklagte am Freitag in einem Leitartikel, daß mitveranstaltende Gruppen Flugblätter verteilten, in denen es hieß, daß das „faschistische Ungeheuer“ durch den Stopp des „sozialdemokratischen Vordringens“ abgewürgt werden müsse.

Auch die Zeitung der Liberaldemokraten (LDPD) 'Der Morgen‘ schrieb am Freitag verärgert von einer inszenierten „Manifestation alten Stils“ und einer Wahlveranstaltung der SED-PDS. Rufe nach einer Machtergreifung durch Arbeiterräte, die auf der Manifestation laut geworden seien, seien genauso bedenklich wie einzelne Grüppchen in den vorderen Reihen am Ehrenmal, die lautstark einen Verfassungsschutz gefordert hätten. „Waren dies die Rufe nach ehemaligen Arbeitsplätzen?“ fragt der Kommentator des 'Morgen‘.

Die 'Neue Zeit‘, ein Blatt der DDR-CDU, schrieb: „Defizite der Faschismus-Bewältigung in unserer Gesellschaft haben faschistoiden Gedankengut den Boden bereiten helfen“, und warnte vor verkürzten Lehren aus der Geschichte.

Ärger auch am runden Tisch

Der Vorwurf, die SED-PDS versuche ihre Führungsrolle durch eine „antifaschistische Einheitsfront“ zu erhalten, führte am Donnerstag abend auch beim runden Tisch im Roten Rathaus von Berlin zu Streit. Die SED wollte das Dialoggremium dazu bewegen, sich hinter ihren Antrag zu stellen und zu einer „breiten öffentlichen Diskussion“ über Rechtsradikalismus aufzurufen. Die Opposition lehnte ab, sie könne an dieser Diskussion gar nicht teilnehmen, da sie keine eigenen Medien besäße, die weiterhin alle unter Kontrolle der SED stünden.

Ve.