Scharf brutal heftig hart

■ Lortzings „Waffenschmied“ in Kassel

Waffenschmied? - Muß das noch sein? DDR-Regisseur Peter Konwitschny demonstrierte, es muß nicht nur sein, es ist überfällig. Er entlarvt 150 Jahre Schlendrian beim Lortzing -Inszenieren, und das ausgerechnet an einem Stück, das abgetan schien wie kaum ein anderes als „sentimental“ und „peinlich deutsch“. Lortzings Text wie seine Musik sind in Kassel, im Dezember 1989, endlich einmal ernst genommen worden, Wort für Wort, Note für Note. „Wo's um Waffen geht, wird viel gelogen“, antwortet der Regisseur in einem Interview - in einer Stadt, die, gelinde gesagt, ihren industriellen Ruf gerade als Waffenschmiede etabliert hat („Leopard“). Und man weiß, daß, kurz nach Konwitschnys Antwort, eine der ärgsten Lügen in 40 Jahren DDR an den Tag kam, das Waffenlager bei Rostock.

Der Regisseur läßt im letzten Akt eine Tür öffnen zu den Maschinen und Apparaturen des „Staatstheaters“, eine grau kostümierte Frau kommt heraus und verliest im Polizeiton eine Anordnung: Der Waffenschmied Stadinger solle mit seinen Aktionen gegen die da oben, gegen die Fürsten und Ritter, endlich aufhören und solle „Ruhe“ geben (dies Wort auf der Anweisung ist bis in die letzte Reihe zu hören). „Der Rat der Stadt fürchtet einen Aufstand.“ Wer in Lortzings Libretto nachliest, wird finden, daß Konwitschny nichts hinzugemogelt hat. An dieser Stelle ist bei seiner Leipziger Inszenierung in den letzten drei Jahren jedesmal gelacht und geklatscht worden. Dort hat man offenbar diesen Waffenschmied (kurz vor 1848 uraufgeführt) sofort verstanden. In Kassel gab's wütenden Protest. Wohl nicht so sehr, weil man sich beim Eingemachten ertappt fand, beim Waffenschmieden, sondern weil eine überaus liebgewordene Rührseligkeit verdorben wurde.

Von Szene zu Szene macht Konwitschny dies Stück, das doch jeder zu kennen meinte, durchsichtig, eröffnet endlich auch bei Lortzing die Opernbühne als geistigen Raum, als Gesellschafts-Spiel, zeigt zum ersten Mal, wie hart diese scheinbar nur komische Spieloper nicht nur politisch ernst macht, sondern auch, wie knapp das alles an Schizophrenie vorbeischrammt: zum einen der Schmied, der, statt Waffen zu produzieren, viel lieber als Arzt Leben erhalten würde (erst diese Regie bemerkt, wie oft in diesem Text der Konjunktiv regiert); zum anderen seine Tochter, die von der Entscheidung für den einen oder anderen Mann (die in Wahrheit ein und dieselbe Person sind) überfordert ist. Hier, scheinbar, der „brave“ und „biedere“ Handwerker, dort der Großgrundbesitzer („'s mag freilich nicht so übel sein, zu sagen, Feld und Wald sind mein“).

Daß diese Inszenierung dem Text wie der Musik nichts auflädt, was beide nicht schon immer in sich hatten, demonstriert jeder Moment dieses Abends, auch und gerade die komischen. Das findet vom Klamauk endlich hinüber in Dimensionen des Unheimlichen, so daß eine alte Frage, nämlich, ob es zwischen den Zeitgenossen Lortzing und Wagner eigentlich gar keine Gemeinsamkeiten gibt, sich endlich bejahen läßt (Wagner hat Lortzing sehr geschätzt). Im Finale, zu einem riesigen Marsch von Lohengrin-Format (meist gestrichen oder gekürzt) verwandelt sich Stadingers Werkstatt. Er hat, betrogen, klein beigeben müssen, seine Manufaktur wird Fabrik. Da wird in einem doppelten Bühnenboden sichtbar, was die Unterjochung freiheitlichen Bürgersinns an Folgen haben wird - Kinder in Matrosenanzügen drapieren und verhüllen kaiserlich-militaristische Großbürgerei, die Krupps.

Die Musik zu dieser Oper habe ich, scheint mir, erst jetzt wirklich gehört. In Kassel klingt sie scharf, gleich zu Beginn geradezu brutal, im Rhythmus heftig und in den Sforzati hart. Jedem, der künftig Lortzing inszenieren will, sei eine Pilgerreise nach Kassel empfohlen, wo neben dem Regisseur und seinen DDR-Kollegen Pfefferkorn und Harnisch (Bühne und Kostüme) vor allem ein selten ernst-komisches Ensemble überzeugte, nicht weniger aber der junge, erstaunlich respektlose Dirigent Andreas Kowalewitz respektlos vor jenem alten Gemütlichkeitston, der es ja um ein Haar fertiggebracht hatte, diese Oper zu ruinieren, mit grotesken Strichen und Langsamkeiten. Unter Konwitschny und Kowalewitz erst wird begreiflich, warum kurz nach Waffenschmied derselbe Autor im Jahr 1848 - auf das laufende Revolutionsjahr 1848 - die einzige Arbeiter- und Freiheitsoper der Deutschen hat schreiben können. In Regina singt im Finale das Volk: „Nun kommt der Freiheit großer Tag“ und: „Das Volk läßt sich nicht spotten“ - die Oper blieb bis heute unbeachtet.

Jürgen Lodemann