Kambodscha - ein Perpetuum mobile?

Trotz erneuter Friedensverhandlungen noch im Januar steht Kambodscha offenbar vor einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg / Einerseits rückt eine „Namibia-Lösung“ in greifbare Nähe, andererseits signalisieren die Vereinigten Staaten, daß sie weiterhin an die Anti-Hun-Sen-Koalition Waffen liefern werden  ■  Aus Phnom Penh Larry Jagan

Die Reformen in Osteuropa sorgen in Phnom Penh für Kopfzerbrechen. Zusehends schwindet die traditionelle Basis internationaler Solidarität dahin. Seit 1979 konnte sich die kambodschanische Führung auf den unentwegten ökonomischen Beistand der Sowjetunion und des Ostblocks verlassen. Doch schon bei der letzten Abstimmung der UN-Vollversammlung über Kambodscha enthielt sich Ungarn. Zu diesem Schrecken kommt nun die Furcht, daß nach den Revolutionen in Ost-Berlin, Prag und Budapest mit unhinterfragter Unterstützung nicht mehr zu rechnen ist.

All dies mag dazu beigetragen haben, daß sich der kambodschanische Premier Hun Sen flexibler gibt und derweil sogar die Beteiligung der UNO an einer Friedenslösung akzeptiert. Bislang schien dies eine unannehmbare Variante, da die Vereinten Nationen sich nicht scheuten, die von den Roten Khmer dominierte Widerstandskoalition politisch anzuerkennen. Inzwischen hat Australien mit dem Vorschlag einer provisorischen UN-Übergangsregierung bis zur Durchführung freier Wahlen die Initiative ergriffen.

Einen diplomatischen Durchlauf zwischen Bangkok, Hanoi, Phnom Penh und Peking hat gerade der stellvertretende australische Außenminister hinter sich gebracht. Ursprünglich kam dieser Vorschlag von Stephen Solarz. Der amerikanische Kongreßabgeordnete erntete dafür vor 18 Monaten jedoch nur lauen Beifall. Und wie gewohnt war es dann einmal mehr Quecksilberprinz Sihanouk, der querschoß. Nachdem er den australischen Vorschlag zunächst aufs wärmste begrüßt hatte, forderte er plötzlich die totale Demontage der Phnom Penher Administration. Ein Konzept, das - von der Undurchführbarkeit einmal ganz abgesehen - für Hun Sen nicht in Frage kommt.

Die Aussicht auf eine Wiederaufnahme der Kambodscha -Gespräche noch in diesem Monat wurde von den Hauptkontrahenten der Region zwar begrüßt - allein es bleibt die Frage, was diskutiert und wessen Vorschläge schließlich auf den Tisch gebracht werden sollen.

Trotz aller Lorbeeren für die australischen Bemühungen scheint nach wie vor der thailändische Premier Chatichai einen Schlüssel in den Händen zu halten. Chatichai soll an einer polarisierten Übergangsregierung basteln, in der Hun Sen und die Koalition als gleichwertige Partner agieren. Den Roten Khmer würde dies erlauben, an der Interimsregierung zu partizipieren, aber nicht unter eigener Flagge. Eine „Namibia-Lösung“ wäre damit in greifbare Nähe gerückt. Das hieße Waffenstillstand, die Verbannung der Truppen in ihre Kasernen und die Einstellung sämtlicher militärischer Unterstützung an alle beteiligten Khmer-Parteien sowie die Abhaltung von Wahlen unter UN-Aufsicht. Wie ein Mitglied der Hun-Sen-Regierung versicherte, könnte sich die kambodschanische Führung damit anfreunden.

Der thailändische Premierminister versicherte kürzlich unter der Hand, daß auch die Chinesen seine Kambodscha -Initiative wohlwollend unterstützten. Ebenfalls privat haben chinesische Offizielle einfließen lassen, daß ihre Regierung durch die Unterstützung der Roten Khmer zunehmend in Verlegenheit geriete. Auch die Regierung wolle sie eigentlich nicht wieder an der Macht sehen und zu guter Letzt nicht die einzige bleiben, die ihnen Rückendeckung böte. Aber man suche nach einem Weg, um das Gesicht zu wahren und schließlich das eigentliche strategische Ziel zu verwirklichen - ein neutrales, nicht-alliiertes Kambodscha.

De facto steht es in der Macht der USA, die zehnjährige Isolation des Landes zu beenden. Doch das Weiße Haus beharrt auf seiner alteingefahrenen Position. Clayborn Pell, Kongreßabgeordneter und Mitglied des Rates für Außenpolitik, bezweifelt, daß sich die US-Politik unter der Bush -Administration verändern wird. „Bleibt nur zu hoffen, daß die US-Öffentlichkeit Einfluß nehmen wird“, sagte jüngst einer von Pells Gehilfen, der zu einem inoffiziellen Phnom -Penh-Besuch eingetroffen war.

Der Graben zwischen der öffentlichen Meinung und der Washingtoner Politik verbreitert sich zunehmend. Über 60 Prozent der Kongreß-Abgeordneten halten einen Positionswechsel für unabdingbar. Der Druck wächst. Zwanzig einflußreiche Journalisten, die vor kurzem Kambodscha einen Besuch abgestattet haben, waren überzeugt, daß die USA die Regierung Hun Sen so schnell wie möglich anerkennen und ökonomische Hilfe leisten sollten.

Nichtsdestotrotz ist die US-Regierung keineswegs bemüht, den Kambodscha-Konflikt zu einem friedlichen Ende zu bringen. Off the records ließ ein hoher Beamter des US -Außenministeriums wissen, daß erneute Waffenlieferungen an die Anti-Hun-Sen-Koalition vorgesehen sind, „um den Friedensprozeß zu beschleunigen“. Sollte sich der Rest der Welt von diesem Vorbild leiten lassen, wird Kambodscha ganz sicher zu den „killing fields“ zurückkehren.