Morddrohungen gegen Ermittler

Berliner Generalstaatsanwalt Voss: Aufklärung über die Übergriffe am 7./8.Oktober wird massiv behindert  ■  Aus Ost-Berlin Brigitte Fehrle

Über massive Behinderungen seiner Arbeit „bis hin zu Morddrohungen“ berichtete gestern der neue Generalstaatsanwalt von Ost-Berlin, Klaus Voss. Voss ist für die Aufklärung der willkürlichen Festnahmen von mehr als 1.000 Leuten im Anschluß an die Jubelfeier zum 40.Jahrestag der DDR zuständig. Vor der „Zeitweiligen Kommission zur Untersuchung der Ereignisse am 7./8.Oktober“ und mehreren hundert Bürgern aus der DDR berichtete der Generalstaatsanwalt im Roten Rathaus über seine Ermittlungen. Im Zusammenhang mit dem ersten Prozeß gegen einen Angehörigen der Volkspolizei seien zwei schriftliche Morddrohungen gegen den Staatsanwalt und den Richter ergangen. Beide seien aus der „Richtung der Volkspolizei“ gekommen. Auch per Telex seien Drohungen und Beleidigungen gegen seine Behörde und die ermittelnden Staatsanwälte ergangen. Unter dem Tenor „Auch wir sind das Volk“ seien sie von seiten der Volkspolizei bezichtigt worden, mit ihrer Arbeit eine „politische Hetzkampagne“ gegen die VP zu betreiben. Schon mehrfach habe er Staatsanwälte auswechseln müssen, weil sie dem physischen und psychischen Druck nicht gewachsen waren.

Voss, der erst seit kurz vor Weihnachten im Amt ist, unterrichtete die Öffentlichkeit außerdem von „massiven Behinderungen“ bei der Ermittlungsarbeit. Immer noch stehe er vor einer „Wand des Schweigens“ bei den Sicherheitskräften. Es sei mehrfach geschehen, daß Vorgeladene nicht zur Vernehmung erschienen seien oder von ihren Dienstherren nicht freigestellt worden wären. Sollte dies noch einmal geschehen, so rief Voss unter Beifall der Zuhörer, „werde ich veranlassen, daß diese Personen zugeführt werden“. Inzwischen gebe es 47 Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt, in 15 Verfahren seien die Personen bekannt. Bislang sei es zu zwei Anklagen gekommen. Weiter erklärte Voss, seiner Meinung nach müßte auch gegen seinen Amtsvorgänger und dessen Stellvertreter ermittelt werden. Voss sieht den Tatbestand der „Freiheitsberaubung“ beim ehemaligen Minister für Staatssicherheit gegeben. Aufgrund seiner Erkenntnisse seien alle „Zuführungen“ in dieser Nacht auf seine Anweisung hin geschehen.

Die „Zeitweilige Komission“ will am kommenden Mittwoch eine Protestnote an die Volkskammer übergeben. Ihre Arbeit werde auch vom Generalstaatsanwalt der DDR und vom Militärstaatsanwalt „massiv behindert“. Die Vorsitzende der Kommission zog ein erstes Fazit: Der Verdacht habe sich inzwischen erhärtet, daß in dieser Nacht Gewalt habe provoziert werden sollen. Die Anzahl der Polizisten und Militärs lasse auf ein Interesse an der chinesischen Lösung schließen.