Umweltnotstand in der DDR wird öffentlich

■ Neue Öko-Daten machen die katastrophale Situation deutlich: vergiftete Flüsse, dreckige Luft und verschleuderte Energie/ Flußwasser ist selbst zu Kühlzwecken nicht mehr geeignet/ Regierung Modrow will Ausstieg aus dem Müllgeschäft mit der Bundesrepublik

Berlin (taz) - Bislang unveröffentlichte Daten und Fakten machen den ökologischen Notstand in der DDR sichtbar: Emissionsrekorde, vergiftete Flüsse, stinkende Schornsteine und PKWs. Nach Einschätzung des 'Spiegel‘ muß die DDR mehrere hundert Milliarden Mark investieren, um ihre Umwelt zu sanieren. Der 'Spiegel‘ macht mit einer Reihe von neuen Zahlen die Umweltmisere deutlich.

-Allein das Kraftwerk Boxberg bei Cottbus blase mehr Schwefeldioxid in die Luft als alle Kraftwerke Norwegens und Dänemark zusammen: rund 460.000 Tonnen.

-Die chemischen Werke Buna bei Halle leiten mit 20 Kilo Quecksilber täglich zehnmal soviel des Gifts in die Saale wie BASF-Ludwigshafen in einem Jahr in den Rhein. Die jährlichen Quecksilberemissionen in Buna reichten für drei Millionen Fieber-Thermometer.

-Ein einziger Trabi puste mehr Kohlenmonoxid aus dem Auspuff wie 100 westliche Kat-Autos. Insgesamt sei die DDR mit Luftschadstoffen fünfmal so stark belastet wie die Bundesrepublik. In Leipzig müßte eigentlich täglich Smog -Alarm ausgelöst werden.

-Als Energieverschwender sei die DDR weltweit die Nummer eins. Durch die veralteten Kraftwerke mit ihrem katastrophalen Wirkungsgrad werde soviel Energie verpulvert, daß ein Land wie Dänemark von den Einspar-Potentialen bequem seinen gesamten Energiebedarf decken könnte.

-Die Gewässersituation sei besonders dramatisch. In der bisher geheimen Gewässergütekarte dominiere die SED -Lieblingsfarbe rot: stark verschmutzt. DDR-Flußwasser sei selbst für Kühlzwecke oft ungeeignet, heißt es in der Gütekarte. Auf rund 10.000 Flußkilometern sei das Leben erloschen.

In der Spittel bei Bitterfeld brachte eine Gewässerprobe Zahlen, wie man sie bisher allenfalls aus Hamburgs berüchtigter Giftdeponie Georgswerder kannte. Das „Wasser“ enthielt laut 'Spiegel‘ mit 8.280 Mikrogramm pro Liter 100mal soviel Chlorverbindungen wie die Elbe vor Hamburg, mehr als 100mal soviel Phenole und das 40fache an organischem Kohlenstoff. Wassertiere krepierten selbst in einer tausendfach verdünnten Versuchslösung. Auch hochgradige Dioxin-Konzentrationen wurden in Flußwasser aus der DDR gefunden, wie der Hamburger Umweltstaatsrat Vahrenholt erklärte. Der Umweltexperte der Hansestadt: Nach den westlichen Grenzwerten müßten „gut die Hälfte aller DDR -Betriebe stillgelegt werden“.

Ende des Müllhandels

Eine drastische Wende der Regierung Mordrow kündigt der 'Spiegel‘ im deutsch-deutschen Mülltransfer an. Nach Auslaufen der bis Mitte der 90er Jahre laufenden Verträge sollen die Deponien für Müll aus dem Westen geschlossen werden. Rund eine Milliarde Mark habe die DDR in den letzten zehn Jahren am Müllimport aus der BRD kassiert. Allein im letzten Jahr habe die Bundesrepublik vier Millionen Tonnen Gift- und Hausmüll in die DDR gekarrt.

-man Kommentar Seite 10