Blockmentalität in die Mottenkiste

■ SED legt „Sicherheitsmodell 2000“ vor / Halbierung von Bundeswehr und NVA und der Abzug aller Verbündeten bis 1999 vorgeschlagen

Bonn (dpa/taz) - Die SED hat am Wochenende weitreichende Abrüstungsvorschläge gemacht. Dabei geht es von einer Halbierung der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee bis zur Auflösung der Militärblöcke und Abzug aller verbündeten Truppen bis zum Jahr 1999. SED-Chef Gregor Gysi legte am Samstag in Ost-Berlin das „Sicherheitsmodell 2000“ vor. Als weitere Bestandteile der „Friedensinitiative“ seiner Partei schlug Gysi vor, die allgemeine Wehrpflicht in beiden Staaten auf zwölf Monate festzuschreiben. Die deutschen Streitkräfte sollten sich jeder Modernisierung von Waffen und Kriegsgerät enthalten - Atomwaffen und chemische Waffen seien innerhalb von zwei Jahren aus beiden Staaten abzuziehen. Ohne den Abbau der militärischen Gegnerschaften zwischen beiden deutschen Staaten, betonte der SED-Chef, sei jedes Wort über die Einheit der Nation unglaubwürdig.

Eine sofortige Reduzierung der Bundeswehr von derzeit 490.000 auf 300.000 Mann wäre auch nach den Worten des Bundeswehradmirals Elmar Schmähling sofort möglich. Die Planungen für den „Verteidigungsfall“ würden dabei nicht einmal berührt. Eine Verkürzung des Wehrdienstes auf 12 Monate - wie in der DDR bereits geschehen - könnte seiner Meinung ebenso sofort umgesetzt werden.

Das Bonner Verteidigungsministerium hat zu gleichlautenden Forderungen aus der SPD und FDP erklärt, solche Diskussionen entbehrten „zur Zeit jeder Grundlage“.

Entgegen allen offiziellen Äußerungen soll es bei der Bundeswehr aber bereits geheime Planungen über eine Verkürzung der Wehrdienstzeit von derzeit 15 auf zwölf Monate geben. Das meldete gestern 'Bild am Sonntag‘. Die geplante „Friedensstärke“ der Bundeswehr soll danach unter 350.000 Mann liegen. Ein entsprechendes Konzept, bei dem der Anteil der Berufs- und Zeitsoldaten auf rund 80 Prozent steigen soll und nur noch jeder zehnte Wehrpflichtige seinen Dienst überhaupt antreten müsse, trage zur Zeit aber noch den Stempel der Geheimhaltung.

Bundeskanzler Kohl und Verteidigungsminister Stoltenberg wollen dem Springerblatt zufolge ihr Konzept erst nach den nächsten Fortschritten bei den Wiener Abrüstungsverhandlungen bekanntgeben, auf jeden Fall aber vor der Bundestagswahl im Dezember 1990. Die Zeitung zitierte einen „engen Vertrauten“ Stoltenbergs mit den Worten: „Natürlich hat die Abrüstung Auswirkungen auf den Umfang der Bundeswehr. Wir müssen uns auf eine kürzere Wehrpflichtdauer einstellen und werden in Zukunft weniger Soldaten einziehen.“

Bundesaußenminister Genscher sagte auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart, für Europa werde es gut sein, wenn die Vertragsgemeinschaft der Deutschen von einer „Abrüstungsgemeinschaft der Europäer“ begleitet wird. Die Abrüstung dürfe nicht hinter der politischen Entwicklung hinterherhinken. Die West-Ost -Beziehungen müßten Schritt für Schritt „entmilitarisiert“ werden.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Bernd Wilz, Fortsetzung auf Seite 4

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plädierte in einem Interview für eine „Europäische Friedensordnung (EFO), deren Freiheit, Friede und Stabilität von einer neu zu schaffenden Europäischen Sicherheitsunion (ESU) garantiert werden.“ In ihr müßten die europäischen Teile von Nato und Warschauer Pakt einschließlich neutraler Staaten aufgehen. USA und UdSSR sollten der ESU nicht angehören, wohl aber als „Garantiemächte“ fungieren.

Ein vereinigtes Deutschland müßte nach Auffassung von CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger der Nato angehören. Voraussetzung dafür sei aber, daß das westliche Verteidigungsbündnis umgebaut werde

und ein „europäisches Gesicht“ erhalte. Der Einfluß der Sowjetununion werde sich dadurch faktisch nicht verringern, so seine kuriose Rechnung, denn die Ost-West-Tiefe Deutschlands betrage 450 Kilometer, die der UdSSR dagegen 13.000 Kilometer. An einem neutralisierten Deutschland, das zwischen den Lagern hin und her pendele, könnten weder der Westen noch die UdSSR interessiert sein. Der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Wimmer, sprach in der 'Welt am Sonntag‘ von einer „grundlegenden Änderung der militärischen Situation in Europa“, wenn im Frühsommer bei den Wiener Abrüstungsverhandlungen eine asymetrische konventionelle Abrüstung im Osten auf gemeinsame Obergrenzen vereinbart

wird. Die Sowjetunion verliere damit ihre Fähigkeit zu einer weitreichenden strategischen Offensive gegenüber Westeuropa. Die Bundesrepublik „wächst aus der Situation eines Frontstaates militärisch und politisch heraus“.

Nach Angaben des Springerblattes 'Bild am Sonntag‘ sollen bereits in der kommenden Woche die Einzelberechnungen mit dem Ziel der „Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer Ausbildungs- und Mobilmachungsarmee“ beginen. In der nächsten geheimen Sitzung des Bundessicherheitsrates am 24. Januar will Stoltenberg angeblich einen ersten Überblick über die neuesten Bundeswehrplanungen geben.

In Bonn mehren sich derweil die Stimmen für einen baldigen Ausstieg aus dem Milliardenprojekt

„Jäger 90“. In einem als Verschlußsache eingestuften Bericht des Bundesrechnungshofs soll der Sinn der Fertigstellung in Frage gestellt werden. Die zur Begründung des Rüstungsprojektes aufgestellten Forderungen würden nun „in wesentlichen Punkten nicht mehr erfüllt“. Der bayerische FDP -Vorsitzende Josef Grünbeck bezeichnete den Jäger 90 als „militärisch unsinnig und finanziell unverantwortlich“. Die FDP werde spätestens bei der nächsten Koalitionsvereinbarung auf den Verzicht für das Vorhaben bestehen. Ähnlich äußerte sich der stellvertretende FDP-Vorsitzende Baum, der wie der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestages, Rudi Walther (SPD), für eine sofortige Beerdigung des Jäger 90 plädierte.

wg.