: Das Neue Forum bleibt in Bewegung
■ Auf der Landesdelegiertenversammlung in Leipzig wurde die Parteigründung verhindert / Von Matthias Geis
Für die formelle Gründungsversammlung am 27. Januar in Berlin hat die Landesdelegiertenkonferenz der Bürgerbewegung vom Wochenende in Leipzig Pflöcke eingeschlagen: Das Neue Forum wird auch weiterhin als basisdemokratisch organisierte Bürgerbewegung arbeiten und sich allenfalls dann zu einer Partei konstituieren, wenn das neue Wahlgesetz die Beteiligung von politischen Vereinigungen an den Wahlen ausschließen sollte. Gegen die Gründung einer Partei fand sich nach heftiger Debatte eine Zweidrittelmehrheit. Die fand sich auch in einer anderen Frage: eine Quotenregelung wird es beim Neuen Forum nicht geben.
„Das Neue Forum versteht sich als Gewissen und gesunder Menschenverstand des Volkes.“ An dieser selbstbewußten Einschätzung eines Vertreters der Landesdelegiertenkonferenz am Wochenende waren Zweifel durchaus angebracht: Über weite Strecken glich das dritte landesweite Treffen im Alfred -Frank-Kulturhaus im Leipziger Südwesten einem Spektakel.
Das zermürbende Gezerre endloser Geschäftsordnungsdebatten und die verwirrende Antragsflut, bei der auch die Tagungsleitung des öfteren den Überblick verlor, paßte jedenfalls zum klassizistischen Fries an der Front des Versammlungssaales, der deutlich an eine Theaterkulisse erinnerte. Davor hatte sich das siebenköpfige Präsidium aufgebaut, das zwei Tage lang durchhielt. Daß trotz gelebter Basisdemokratie der Statutentwurf durchgearbeitet und das Wahlbündnis der Opposition bekräftigt wurde, überraschte am Ende ebenso wie die Tatsache, daß es nicht zu einer offenen Spaltung an der Frage Basisbewegung oder Partei kam.
Die Frage der zukünftigen Organisationsstrukturen war der Knackpunkt des Treffens, mit dem die eigentliche Gründungsversammlung am 27.Januar in Berlin vorbereitet wurde. Mit dem nach dreistündiger Auseinandersetzung gefaßten Beschluß, der die Gründung einer Partei verwarf und die bisherige Form einer Basisbewegung festschreibt, ist eine Vorentscheidung getroffen, die wohl auch auf der Gründungsversammlung Bestand haben wird.
Runder Tisch „ausgebootet“
Vorausgegangen war eine harte emotionalisierte Debatte, die noch einmal den Konflikt Revue passieren ließ, der die politische Initiative des Forums in den letzten beiden Monaten fast vollständig absorbierte. Den Schlagabtausch zwischen Parteigegnern und -befürwortern konnte auch Rolf Henrich nicht eindämmen, der die Ansicht vertrat, alle Argumente seien hinlänglich bekannt. Keine zehn der 150 Delegierten seien in dieser Frage noch unentschieden.
Selbst Gründungsmitglied Jens Reich wurde ganz gegen sein ruhig-distanziertes Naturell in dieser Frage drastisch: „Diese Diskussion ist mir zuwider, weil sie uns von unseren eigentlichen Aufgaben abhält.“ Das Forum stehe im Wahlkampf, sehe die Machtfestigung der alten Kräfte, sei mit Geheimabsprachen des Ministerrates konfrontiert; der runde Tisch werde ausgebootet. Einigkeit des Forums sei jetzt ebenso gefragt wie das Wahlbündnis der Opposition. Adam Mischnick lasse aus Polen übermitteln: „Ihr seid wahnsinnig, wenn ihr nicht in einem Block auftretet.“
Doch auch Reichs engagiertes Plädoyer, die Organisationsdebatte zugunsten der eigentlichen politischen Fragen abzukürzen, fand vorerst keine Mehrheit. Die Debatte rollte: „Die Initiative von unten war die entscheidende Triebkraft der jüngsten Entwicklung.“ Nicht einzusehen sei so ein Delegierter -, warum man sich nach dieser Erfahrung jetzt wieder an einem Parteibegriff orientieren soll, der „in der Tradition des 19.Jahrhunderts“ verankert sei. Das Neue Forum müsse auch in Zukunft dem „Prinzip der Selbstorganisation“ vertrauen. „Das Volk will geführt werden“, war da ein Arbeiter aus Dresden ganz anderer Meinung: „Wir sind nicht in der Lage, Basisdemokratie zu praktizieren.“ Um eine Spaltung zu verhindern, müsse zumindest beides - Partei und Bewegung - im Rahmen des Neuen Forums möglich sein.
Keine Trauer um
jüngste Abspaltungen
Die Versuche vieler Delegierter der Versammlung die Folgen der Polarisierung in der Organisationsfrage vor Augen zu führen - Vertrauensverlust und Mitgliederschwund fruchteten nicht. Viele Befürworter der Basisbewegung machten am Rande der Versammlung keinen Hehl daraus, daß sie über eine Abspaltung, wie sie sich in Karl-Marx-Stadt und in Thüringen schon vollzogen hat, nicht traurig wären. Mit der Restmehrheit, die an eine „Demokratie von unten“ festhalte, lasse es sich letztlich besser arbeiten als mit dem programmierten Dauerkonflikt.
Trotz des heftigen Wortgefechts blieb merkwürdig unklar, welche konkreten Auswirkungen die umkämpften Alternativen für die praktische Arbeit jeweils bedeuteten. Gestritten wurde letztlich um grundsätzliche Orientierungen: „Neue politische Kultur von unten“ versus einem am westlichen Parlamentarismus orientierten Demokratiebegriff.
Während die einen die kreative Atmosphäre des Aufbruchs der letzten Monate in der Bewegung zu konservieren glauben, sehen die anderen die konsequente Erneuerung nur mit einer „schlagkräftigen politischen Organisation“ gewährleistet. Sowohl die basisdemokratische wie die parlamentarisch -zentralistische Option, hinter der sich - in programmatischer Hinsicht - die eher westorientierten Mitglieder des Neuen Forums verbergen, hatten letztlich gute Argumente auf ihrer Seite.
Um so schwieriger gestaltete sich die mehrstündige Beschlußfassung. Die Vorlage des Landespresserates für die Bürgerbewegung, die, von unten nach oben strukturiert, „die politische Kompetenz breiter Bevölkerungskreise entwickeln“ hilft, fand erst mal nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Grund hierfür war sicherlich auch eine Formulierung des Antrags, die den Parteibefürwortern den Austritt nahelegte, und die Benutzung des Namens Neues Forum für eine Partei untersagte.
Die entgeisterte Frage eines Delegierten, was denn die gescheiterte Beschlußfassung jetzt zu bedeuten habe, beantwortete Jens Reich lakonisch: „Das kann ich beantworten. Wir machen uns lächerlich vor der Öffentlichkeit.“
In der anschließenden Kaffeepause wurde hektisch an der Auffassung der Beschlußblockade gebastelt. „Geschäftsordnungsänderung“, meinte Rolf Hendrich. Die einfache Mehrheit müsse genügen. Doch die Geschäftsordnung enthielt keinen Passus, der die Modalitäten ihrer Änderung festgeschrieben hätte. So konnte Verhandlungsführer Reich nur verzweifelt feststellen: „Ich kann die Geschäftsordnung nicht ändern, sonst haben wir gar nichts mehr.“
Am Ende wurde nach einer nicht übersehbaren Kombination unterschiedlicher Anträge dann doch noch ein Beschluß gefaßt, der auf die ursprüngliche Vorlage hinausläuft. Eingefügt wurde der Passus, daß eine Parteigründung dann erfolgen soll, wenn das neue Wahlgesetz ausschließlich Parteien die Bewerbung um Mandate ermöglicht. Doch daß das Forum als Bürgerbewegung von der Wahl ausgeschlossen werden könnte, daran glaubte im Saal kaum einer.
Auch Quotenfrage
abgeschmettert
Nach der Grundsatzentscheidung ging das neue Statut, das die Organisation von unten, aber auch die Etablierung eines „Republikvorstands“ neben dem Landessprecherrat vorsieht, ziemlich glatt und ohne wesentliche Änderungen durch zumindest 35 von 36 Paragraphen. Nur in einer Frage, an der die Bewegung, die sich soviel auf ihre „neue politische Kultur“ zugute hält, Zeichen hätte setzen können, wurde spektakulär und im alten Geist entschieden: die Quotenfrage. „Das haben die Frauen selbst gekippt“, kommentierte ein enttäuschter Delegierter den Beschluß, der selbst die Quotierung entsprechend dem Mitgliederverhältnis zwischen Männern und Frauen mit Zweidrittelmehrheit abschmetterte.
Die Mehrheit der Frauen hatte gegen die Regelung gestimmt. Eine begründete: „Die Männer werden auch nicht immer eigens erwähnt, und ich würde mich nicht gleichberechtigt fühlen, wenn auch die Frauen immer gesondert berücksichtigt würden.“ Und auch die Männer hielten sich mit demonstrativ Patriarchalischem nicht zurück. Entscheidend sei nicht, was einer unter der Gürtellinie, sondern was er im Kopf habe. Mit donnerndem Applaus demonstrierte die Versammlung die Stimmungslage entlang der herrschenden Konvention. Zumindest in der Frauenfrage bleibt also das Neue Forum kooperationsfähig - mit der SED.
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