Ich werde gefilmt, also bin ich

■ Fernsehberichterstattung inszeniert sich als Realität

Während die letzten von Ceausescus Getreuen die Fernsehstation beschossen, berichteten die Reporter innerhalb des Gebäudes im gleichen Moment über ihren eigenen Beschuß. Jagten die Journalisten bisher den Ereignissen hinterher, hielten Kameras in bebende Erdspalten und auf zerrissene Körper, so waren sie in diesem Falle selbst Ereignisziel. Dem Zuschauer wurde die Möglichkeit geboten, unter Umständen live die Gefangennahme derer zu verfolgen, die in den Studios das zu sein versuchten, was seinerzeit noch als Rumänien zu gelten hatte. (Sich parallel die Vertreibung der Post-Köpkeisten aus der laufenden Tagesschau vorzustellen, ist nicht ohne Reiz, man sähe vermutlich zum ersten Mal Gesichter.)

Währenddessen war die „tatsächliche“ Lage im Land alles andere als übersichtlich. Die heftigen Kämpfe der Diktator -Treuen lassen zumindest die Vermutung zu, die Revolution habe sich erst nach deren Verkündigung ereignet. Zum einen können sich nur die freuen, Recht gehabt zu haben, die schon immer sagten, es käme nicht auf die Eroberung des „Feldherrnhügels“ an, sondern auf die der Fernsehstationen. Zum anderen schaffte Rumänien mit dieser Fernsehaktion den Sprung aus dem Zeitalter der manipulierten Kommunikation in die Epoche der „live„-Kultur und sogleich bis zu deren Grenze, dem Übergang zum Zeitalter der Simulation, der Indifferenz zwischen Realität und Fiktion.

Wie in Rumänien, so geschah es auch in Berlins Silvesternacht am Brandenburger Tor. Teilnahmslos dokumentiert das Fernsehen seine eigene Implosion. Mitzuerleben in der „Nacht der Deutschen“ zu Silvester am Berliner Brandenburger Tor, als das DDR-Fernsehen, das seinerseits mühelos den Sprung in die Simulation vollzog, den Besuchern der „Nacht“ diese Nacht am selben Ort zur selben Zeit auf eine Großleinwand übermittelte. Das Ereignis sollte dadurch zum Ereignis werden, daß es als Ereignis vorgeführt wurde. Noch während des Treibens konnten sich die Trinkenden ihrer tatsächlichen Anwesenheit versichern, sich selbst über die Leinwand zuprosten, der autistische Einzelne durch Handhebung seiner Existenz gewahr werden. „Ich werde gefilmt, also bin ich.“ Auf dieser Leinwand konnte gesehen werden, wie sie zusammenbrach, die Stürzenden vielleicht im Moment des Sturzes kurz noch ihren elektronischen Schatten erspähen, im Falle eines Genickbruches die Gewißheit der Unsterblichkleit erhalten, festgehalten im Moment des Todes, bevor der Schleier ganz zerreißt, der, wie nun erkennbar war, nichts verdeckte als Nichts.

Für die Akteure ein Vorgeschmack auf das massenmedial vermittelte Weltende. Ein Fernsehereignis, das sich ganz und gar selbst erschuf, ein gefilmter Zusammenbruch, der durch das Fernsehen überhaupt erst ermöglicht wurde.

Wolfgang Hanfstein