Der Mann hinter Tucholsky

■ Am 9.Januar vor hundert Jahren wurde Kurt Tucholsky geboren. Jetzt sind die Briefe seines Redakteurs Siegfried Jacobsohn an ihn erschienen

Yaak Karsunke

Muß man erklären, wer Siegfried Jacobsohn und was 'Die Weltbühne‘ war? Den Lesern einer linken Tageszeitung eigentlich nicht, also will ich mal sicherheitshalber... Ersterer gründete - als damals 24jähirger Theaterkritiker im Jahre 1905 letztere als eigenes Wochenblatt 'Die Schaubühne‘, die er im April 1918 in 'Die Weltbühne‘ umtaufte. Diese Zeitschrift gilt ihren Bewunderern heute z.B. als die „bedeutendste und wirksamste kulturpolitische und radikaldemokratische“ Publikation der Weimarer Republik, ihre Gegner halten sie wohl immer noch für ein linksradikales Hetzblatt. Wie wirksam die 'Weltbühne‘ war, läßt sich dem deutschen Geschichtsverlauf ab 1933 ablesen, linksradikal war sie mit Sicherheit nicht, radikaldemokratisch durchaus. Im übrigen wies sie - in ihren Autoren - eine politische Spannbreite und ein intellektuelles Niveau auf, wie sie jedem gestandenen Autonomen und/oderkamalatta-Stammler heute als ebenso scheißbürgerlich wie scheißliberal gelten.

Zu Rang und Ruf des Blattes trug besonders ein Autorenquintett bei, das aus den Herren Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger, Kaspar Hauser und -Kurt Tucholsky bestand, der häufig in einer Nummer bis zu fünf Beiträge seiner „5 PS“ (Pseudonyme) veröffentlichte. Im Vorwort seines Sammelbandes Mit 5 PS hat er 1927 Siegfried Jacobsohn den „Vater dieser Arbeit“ genannt. Wie zutreffend diese Bezeichnung war, kann man jetzt in einem Band nachlesen, der Jacobsohns „Briefe an Kurt Tucholsky“ aus den Jahren 1915 bis 1926 enthält, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Richard von Soldenhoff. (Die andere Häflte dieser Korrespondenz, nämlich die Briefe Tucholskys, sind gar alle verloren gegangen, als die Nazis 1933 das Archiv der 'Weltbühne‘ verwüsteten.)

Der erste Eindruck, den der Leser gewinnt, ist der eines Bombardements. Bis zu zehn, ja zwölf Briefe und Karten monatlich schickte „Der beste Brotherr dem schlechtesten Mitarbeiter“ - so der Untertitel des Buches -, die meisten von ihnen in jener „winzigen, fetten Schrift, die aussah wie ein persisches Teppichmuster“ (Tucholsky) und die man in einigen Faksimileabbildungen bewundern kann. Jacobsohn war sich bewußt, daß Tucholsky nicht sein schlechtester, sondern sein wichtigster Mitarbeiter war, eben deshalb spornte er ihn unablässig an, schmeichelte, schimpfte, lobte, kritisierte, gab Anregungen, drängelte, mahnte... Der so Umworbene wie Ausgebeutete flüchtete sich in Krankheiten oder Bummelstreiks, oft auch nur in bloße Schlamperei: daß er nie postwendend antwortet, ist eine Dauerklage seines Verlegers. Schließlich erlag der Autor aber doch immer wieder der Mischung aus Verlockung und Leistungsdruck, setzte sich an die Maschine, schrieb und schickte - nur um am Ende des nächsten Briefes, den er erhielt, eine neue, meist säuberlich numerierte Liste der demnächst abzuliefernden Beiträge zu finden.

So fruchtbar diese Verbindung war, so anstrengend war sie aber auch für Tucholsky. Seine Klagen, was das ihm abgeforderte Pensum für eine Schinderei darstelle, beantwortete Jacobsohn ungerührt: „Deine Liter Schweiß interessieren mich nicht. Wichtig ist nur, daß man sie weder aus Vers noch aus Prosa riecht. Und das tut man nicht.“ Der lakonische letzte Satz stellt ein hohes Lob dar - daß Tucholsky es verdiente, hatte er nicht zuletzt seinem ebenso fordernden wie fördernden Mentor zu verdanken, einem Redakteur, der seinem Autor etwas beizubringen hatte und das mit Geduld und Genauigkeit tat.

Im Juni 1919 etwa heißt es zu einem antimilitaristischen Artikel, den Tucholsky ihm vorgeschlagen hatte: „Gegen 8 Seiten ist nichts einzuwenden. Ich bin aber mehr für kalte Aneinanderreihung von Fakten als für hitzigen Kommentar.“ Ein solcher Satz verdiente einen Ehrenplatz in jeder Journalistenausbildung noch heute, ebenso ein kurzer Passus über das Kürzen von Titeln, mit dem Tucholsky ein Jahr später den Kopf gewaschen bekommt. Penible Satz- und Korrekturanweisungen gehören ebenso zum Handwerk wie ausführliche Überlegungen zu Wortumstellungen in Verszeilen oder Auseinandersetzungen um einzelne Wörter. Welcher Redakteur arbeitet heute noch so, wer gibt noch Hinweise zum Gebrauch von Satzzeichen wie diese: „Klammern nur im äußersten Notfall, wo Gedankenstrichte absolut unmöglich sind. Klammern verstopfen einen Satz, Gedankenstriche machen ihn luftig, klar, übersichtlich“. So gegeben 1925, im zwölften Jahr der Zusammenarbeit mit einem Autor, der damals immerhin schon 35 Jahre alt war.

„Ein Lehrer, kein Vorgesetzter“, hat ihn Tucholsky später genannt - und gewiß auch kein Schulmeister. Dazu war Jacobsohn zu unfeierlich, zu lebendig, zu berlinerisch. Er konnte sich „fubbedoll“ freuen und „violett lachen“. Er versäumte es auch nie, auf dem unablässigen Strom seiner Produktionsanforderungen kleine Papierschiffe mitschwimmen zu lassen, die mit Sprachwitz, Klatsch, amüsanten oder boshaften Beobachtungen und Bemerkungen gefüllt waren. So entsteht nebenher ein farbiges Bid der Presse- und Literaturlandschaft jener Jahre, skizziert von einem, der über den Jahrmarkt der Eitelkeiten zwar schlenderte, aber nicht das Bedürfnis verspürte, auf seinen Karussels mitzufahren. „Im übrigen bin ich seit jeher der Meinung gewesen, daß nur das kommt, wohinter man nicht herläuft. Meist kommts dann zu spät. Aber nach Neune ist ja doch alles aus.“

Man erfährt einiges über die Umstände, unter denen ein Blatt wie die 'Welbühne‘ in jenen Jahren gemacht werden mußte. Tausend Bogen Umschlagpapier, vor 1914 für 25 Mark zu haben, kosteten im Inflationsjahr 1922 15.000 Mark; der nächste, der mal wieder von den „Goldenen Zwanzigern“ gedankenlos daherredet, sollte dieses Buch um die Ohren geschlagen bekommen (mit über 600 Seiten ist es dick genug dafür). Es gab Prozesse, es gab politische Morde und Mordversuche. Wozu die nationale Rechte in Deutschland fähig war, wußte Jacobsohn, es wurde in seinem Blatt immer wieder dokumentiert und aufgedeckt. Was den Rest anging, hatte er wenig Illusionen: „Ja, warum sollen eigentlich die Kommunisten in Deutschland anders sein als die Demokraten und die Sozialdemokraten? In erster Linie sind das doch alles Deutsche, also ununterscheidbar verwaschen.“ Dennoch blieb er - „Ach, warum gibt es nicht dieses herrliche Land ohne seine Bewohner?“ -, dennoch machte er das Blatt, unverwechselbar und unabhängig, deshalb häufig am Rande des Ruins: „Die beiden neuen deutschen Nationalheiligen? Die heilige Konkursula und der heilige Insolwenzel.“

Finanzfragen spielen denn auch in den Briefen eine nicht unbeträchtliche Rolle. Die 'Weltbühne‘ konnte nicht soviel zahlen, wie Tucholsky zu benötigen glaubte - „Du möchstest mit 35 Jahren zurücklegen, während ich mich mit 45 vor Schulden nicht zu retten weiß“ -, andererseits war Jacobsohn ständig in Sorge, sein Zugpferd an die Konkurrenz zu verlieren. Ausführlich diskutiert er, in welchen anderen Blättern sein Star zu welchen Bedingungen oder doch besser gar nicht mitarbeiten soll, mal bremst er den Erwerbsdrang seines Autors mit moralischen, dann wieder mit publizistischen Erwägungen. Wiederholt auch die Warnung, sich nicht allzu unbesehen anzudienen: „Es ist nicht nur hier, sondern überall Quatsch, den Dingen wie Affe nachzulaufen. Der Gentleman läuft nur, wenn er gestohlen hat, oder wenns Sekt gibt.

Mitte 1926 sah es so aus, als ob es Sekt geben würde. Jacobsohn war es endlich gelungen, Geldgeber für sein lebenslanges Lieblingsprojekt, eineMonatszeitschrift zu finden - die Verwirklichung dieses Traums hat er nicht mehr erlebt. Er starb am 3.Dezember 1926 im Alter von nur 45 Jahren. In seinem Gedenkartikel ein Jahr später in der 'Weltbühne‘ schrieb Tucholsky: „Der Mann war der idealste deutsche Redakteur, den unsere Generation gesehen hat.“ Der Autor war neun Jahre weniger siebzehn Tage jünger als sein Verleger; neun Jahre und achtzehn Tage nach Jacobsohns Tod nahm sich Kurz Tucholsky, ein „aufgehörter Schriftsteller“ im schwedischen Exil, das Leben. Aber nach Neune ist ja doch alles aus.

Siegfried Jacobsohn: „Briefe an Kurt Tucholsky 1915-1926“, herausgegeben von Richard von Soldenhoff, Albrecht Knaus Verlag, München und Hamburg 1989