Neonazis sind (k)ein Wahlkampfthema

■ Neue Nazischmierereien in der DDR / Konrad Weiß (Demokratie Jetzt) schätzt Zahl der Neonazis auf mindestens 1.500 / Parteienstreit über den Umgang mit ihnen / 'Neue Zeit‘: SED-PDS erfindet faschistische Gespenster / REP-Chef Schönhuber an der Einreise gehindert

Berlin (taz) - In mehreren Städten der DDR sind am Wochende erneut rechtsradikale Parolen geschmiert worden. Nach Angaben des Innenministeriums sind in Frankfurt (Oder) in einem Zug der Reichsbahn Hakenkreuze und neonazistische Parolen entdeckt worden. In einem Berliner S-Bahn-Wagen hätten Unbekannte sowohl „Türken raus“, „Russen raus“ und „REPs kommen“ als auch Hakenkreuze an die Wände gepinselt. Mit Hakenkreuzen und SS-Runen sollen in einem Haus in Bautzen auch Aufrufe verziert worden sein, in denen dazu aufgerufen wurde, „Rote aufzuhängen“ und den „Republikanern“ beizutreten. Der Aufruf soll 'adn‘ zufolge mit „Heil Hitler“ unterzeichnet gewesen sein.

Konrad Weiß, Filmemacher und Sprecher der Oppositionsgruppe Demokratie Jetzt, schätzt die Zahl der Neonazis in der DDR auf mindestens 1.500. In einem Interview mit der 'Bild' -Zeitung nannte er sie eine „ernste Bedrohung“. Zugleich warf er aber der SED-PDS vor, das Problem Neonazis als Wahlkampfthema zu mißbrauchen: „Es wird versucht, den Eindruck zu vermitteln: Seitdem es keine Stasi mehr gibt, gibt es Neonazis. Aber die gab es eben auch schon, als es noch die Staatssicherheit gab.“

So seien beispielsweise schon im März 1987 etwa 25 Skins nach einem Konzert in die Ostberliner Zionskirche gestürmt, hätten „Juden raus“ gerufen und eine brutale Schlägerei angezettelt. Die Volkspolizei müsse sich bei der Suche nach den Tätern auch die Frage nach möglichen Motiven stellen: „Ich kann mir gut vorstellen, daß es die Stasi selbst war.“

Über den Umgang mit neonazistischen Tendenzen fetzten sich gestern auch die Parteizeitungen der CDU und der SED-PDS. Als „ungeheuerlich“ wies das 'Neue Deutschland‘ (SED-PDS) die Kritik der 'Neuen Zeit‘ (CDU) zurück, die SED-PDS würde „faschistische und neonazistische Gespenster erfinden, wenn es sie nicht gäbe“. Zum Neonazismus gebe es neben „Abwiegelung und Ignoranz“ jetzt auch „übelste Verleumdung“, empörte sich das SED-Blatt. Die 'Neue Zeit‘ beschwerte sich, daß die Christdemokraten in der DDR „durch SED-PDS-Presse und von dieser Partei beherrschte Medien“ in die „rechte Ecke“ gestellt würden.

Die West-„Republikaner“ haben unterdessen ihre Absicht bekräftigt, an den Wahlen in der DDR teilzunehmen. Das kündigte ihr Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank Degen, an. Mit der Begründung „faschistische Tätigkeit“ haben gestern in Berlin DDR -Grenzbeamte dem REP-Vorsitzenden Schönhuber die Einreise verboten, als er mit seinem Diplomatenpaß am Übergang Potsdamer Platz auftauchte.

Wolfgang Gast