Ganz schön viele Wirklichkeiten

■ Iva Prochazkova, Schriftstellerin, „Prager Bremerin“ und 40. Culture Club-Mitglied

Wenn es in einem bestimmten Winkel regnet, ist hinter Iva Prochazkova die Wand naß - jedenfalls in dem kapitänsbrückenartigen Auskuck. Das mit der Wand findet Iva eher komisch; und auch die Tatsache, daß die nächste Heizung ein Zimmer weiter ist, erschüttert sie nicht wirklich. Die Winter sind ja nicht mehr so hart. Und wenn Iva auf ihrer „Brücke“ von der Größe eines kleinen Schreibtischs mit Bett und Schränkchen neben der alten Schreibmaschine sitzt, wird einem klar, daß es hier überhaupt nicht richtig kalt werden kann. Iva Prochazkova ist einfach zu guter Dinge und zu wärmeverbreitend. Da macht es sogar

nichts, wenn der Kaffee kalt wird und uns trotzdem von Ivan Pokorny, Ehemann-Regisseur, aus dem Wohnzimmer mit Milch in den Auskuck nachgetragen wird. Eben kein idyllisches Dichterinnenstübchen. Dafür ist Iva Prochazkovas Alltag zu wirklich.

Da sind die drei Wirklichkeiten der Kinder, die unüblicherweise wirklich geliebt werden: In der engen Wohnung hat jedes Kind ein Zimmer für sich bekommen, das „Wohnzimmer“ ist für alle und gut bespielbar, die „Eltern“ als ob dieses Wort auch nur entfernt zuträfe - schlafen im Auskuck. Da ist die Wirklichkeit des Schreibens am Vormittag, die Wirklichkeit der Emigration; und

das alles korrespondierend mit der Wirklichkeit des Kuchenbackens. Das ist Iva Prochazkova. Gerade hat sie den Deutschen Kinder literaturpreis bekommen für ihr Buch „Die Zeit der geheimen Wünsche“. Eine Geschichte wie aus Iva Prochazkovas Leben: Ein kleines Mädchen heißt Kapka, der Tropfen, weil es wie ein Tropfen vom Himmel gefallen ist. Kapka ist in die Prager Altstadt umgezogen, auf die „Kleinseite“, dieses wundersamschöne, düstere Adventskalendergebilde unter dem Hradschin, wo sich Kafka, Kisch, Schweijk und der Golem gute Nacht sagen, also dort trifft Kapka die wundersamsten Menschen, bis die Verfol

gung ihres oppositionellen Künstler-Vaters sie brutal erwachsen macht.

Für Iva war das Buch eine Sache des Heimwehs, eine Therapie, die sie sich erschrieben hat, als sie nach 27 Jahren Prag plötzlich in Wien saß. Im Exil. Schreiben war damals, 1983, das Einzige. Und da hat sie die Zeit, die sie als Putzfrau auf der „Kleinseite“, auf den Treppen der Häuser verbracht hat, hat die Geschichten der Menschen, die dort leben, aufgeschrieben. Film-oder Theaterwissenschaft studieren wär‘ schon besser gewesen, aber der Vater war ein politischer Schriftsteller, Jan Prochaska - der 1968 den gleichen Preis wie sie erhalten hatte - dessen Bücher in der CSSR aber nicht erscheinen durften. Seine Familie wird verfolgt. Die Gespräche zu Hause über Kunst und Schreiben haben Iva geprägt, und obwohl sie Schriftstellen zuerst „fad“ fand, hat sie bis heute mehrere Kinderbücher und Theaterstücke geschrieben.

1987 sind die Prochazkova-Pokornys - nach einem „Umweg“ über Konstanz nach Bremen gezogen. Haben Sie sich gewöhnt? „Ich nicht!!“, theaterdonnert Ivan aus dem Off, Iva lacht milde. Sie schon. Er ist eben Schütze und reist gern, sie ist Zwilling und paßt sich eher an. Würden Sie jetzt nicht gerne zurück? Sie wird gestenreicher, es ist allso so unglaublich. Sie kennt Vaclav Havel - „ein Gottesmensch“, der die Menschen liebt. Und: „Die Regierung ist ideal, kluge und kompromißlose Leute, aber tolerant gegenüber den Kleinkorrupten“, eine Regierung eben, die sich „Regierung des Nationalen Verständnisses“ nennt. Da will sie beitragen und die Verlagsredakteure verstehen, die damals ihre Bücher abgelehnt haben und sie jetzt veröffentlichen wollen, es sind genau die gleichen, sagt sie, aber wer ist schon ein Held? Claudia Kohlhas