Umgesteuert, kalt erwischt

■ Was die Landeszentrale für PolBild 1990 wem anbietet

Das Programm der Landeszentrale für Politische Bildung, gestern von ihrem Leiter Herbert Wulfekuhl der Presse vorgestellt, setzt für 1990 einen deutlichen Arbeitsschwerpunkt gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. 260.000 Mark hatte sie für 1990 zu verplanen, 50.000 mehr als im Vorjahr, die für den Schwerpunkt eingeworben waren.

Dessen Sahnestück sind Schulabschlußreisen für 200 Haupt und RealschülerInnen in die Türkei. Schüler von der GSW sind schon pilotmäßig vorgereist. Gerade potentielle „Parolenanfällige“ seien dabei wie umgekrempelt zurückgekehrt, berichtete Wulfekuhl. Es sei ein Irrtum, Schüler in einen Raum zu stecken und zu erwarten, daß da ein Miteinander herauskäme. Die Idee der multikulturellen Gesellschaft gelte es durch „interkulturelle Begegnungen zu beleben“. 400 bis 600 Mark sollen die SchülerInnen selber für die Reisen ansparen, 200 Mark gibt die Landeszentrale.

Deutlicher in die Kostenbütt springt die Landeszentrale bei den Türkei-Studienreisen für „Multiplikatoren“. Zu den 2400 Mark der Zentrale müssen die Multiplikatoren selber nur 950 Mark zuzahlen. Die Multiplis sind, laut Programm, „Lehrer/innen des Schulabschlußfahrtenprojekts, Mitarbeiter/innen der Kommunal- und Sozialverwaltung und Ausbilder/Betriebsräte aus Betrieben mit hohem türkischem Arbeitnehmeranteil“.

Wulfekuhls Vorgänger Frank Boldt hatte einen Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa gesetzt, Wulfekuhl hat bewußt umgesteuert, nicht nochmal Studienreisen nach Prag und Riga ins Programm gesetzt, sondern den westeuropäischen Einigungsprozeß. Hier gibt es eine Veranstaltungswoche zu Irland und eine Studienreise von Frauen - ein weiterer Schwerpunkt, betreut von Brigitte Dreyer - nach Spanien. „Multiplikatorinnen aus Betrieben und Verwaltungen sollen die Situation europäischer Frauen diskutieren und die gewonnenen Erfahrungen in Projekte einmünden lassen.

Das westeuropäisch umgesteuerte Programm für 1990 lag vor, als die Landeszentrale von den revolutionären Veränderungen Mittel- und Osteuropas „kalt erwischt wurde“ (Wulfekuhl). Per Schnellsteuerung wurden ins Programm gesetzt: eine Tagung zu der mittlerweile zur „hochinteressant“ gewordenen deutschen Frage im Juni, veranstaltet mit dem Osteuropainstitut der Uni, eine Präsentation der Vertreter neuer Parteien aus Rostock möglichst bald und Vorstellungen des Arbeitertheaters „Hans Otto“ aus Dresden im Mai. Die Einladung an das Ensemble zum politischen Theaterfestival 1988 war vonOB Berghöfer nicht für einer Antwort würdig gehalten worden.

Uta Stolle