Im BKA-Coup-Prozeß taucht das BKA nicht auf

■ Je 18 Monate für zwei kleine Fische im 50-Millionen-Kokain-Deal / Keine Rede von BKA-Beamten, verschwundenen Akten und Aufklärungsinteresse

Nach knapp 15minütiger Beratung entschied die Große Strafkammer des Landgerichts gestern: Die beiden angeklagten „Rauschgifthändler“ Carsten G. und Werner B., beide nachweislich nie zuvor mit Rauschgift und BTM-Gesetz in Berührung gekommen, erhalten je 18 Monate Haftstrafe zur Bewährung. Nicht verhandelt wurden gestern die Hintergründe ihres vermeintlichen „Rauschgiftgeschäfts“, in das außerdem drei Südamerikaner und vor allem: das BKA verwickelt waren. Damit bleiben die umfangreichen und in vielerlei Hinsicht „unvollständigen“ Akten zunächst weiter unbearbeitet und die zweifelhafte Rolle des BKA und seiner V-Männer im dunkeln.

Den beiden Verurteilten wurde vorgeworfen, sich an einem Rauschgiftdeal beteiligt zu haben, bei dem es darum ging, „46 Kilogramm Kokain-Gemisch über Bremerhaven in die Bundesrepublik einzuschmuggeln“, so die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft. Bei dem Versuch, das Rauschgift abzutransportieren, habe man die Angeklagten festnehmen und das Rauschgift sicherstellen können. Daß eigentlich das Bundeskriminalamt den Kokain-Coup (Schwarzmarktwert: rund 50 Millionen Mark) eingefädelt hatte, daß keineswegs ein Bananendampfer das Rauschgift nach Bremerhaven, sondern daß es der Bremer Krimminalhauptkommissar Korn Reisegepäck per Flugzeug in die Bundesrepublik brachte - das alles kam erst gut ein Jahr später (im Sommer 1989, vgl. taz vom 23., 24. u. 30.6.89) und dann auch nur bruchstückhaft ans Tageslicht, als die Verteidiger der fünf vermeintlichen Rauschgiftdealer im ersten Verhandlungsanlauf den Prozeß platzen ließen.

Mit höchst unterschiedlichen Rollen sind die fünf Angeklagten in den Coup verwickelt. Am of

fensichtlich untersten Ende dieser Kette hingen die gestern verurteilten Werner B. und Carsten C. Sie sollten, aus Südamerika fernmündlich von ihrem gemeinsamen Bekannten Karl -Heinz „Kalle“ S. (auch ein V-Mann oder BKA-Werkzeug?, jedenfalls nicht als Zeuge im gestrigen Prozeß geladen) darum gebeten, lediglich Kontakt zu den ebenfalls angeklagten Danoso B. und Cueva P. aufnehmen, ihnen 5.000 Mark ihres Freundes aushändigen und zwei Schließfächer im Bahnhof in Bremerhaven leeren helfen. Pech der beiden Hamburger: Vor den Schließfächern, in denen sich zwei mit Koks gefüllte Seesäcke verbargen, wartete die Kripo. Die vier wie auch immer motivierten Abholer (Werner B. hatte nur das Auto gefahren) wurden sofort festgenommen. Wegen Handels von Rauschgift in nicht geringer Menge wanderten sie in U -Haft: 6 und 8 Monate die beiden Deutschen, anderthalb Jahre die beiden Südamerikaner, die inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt und gestern zur Verhandlung nicht erschienen sind. Auch diese beiden vermutlich vom BKA „angeschobenen“ vermeintlichen Dealer hatten nach einem hanebüchenen Bescheid des Oberlandesgerichts wie ihre deutschen „Komplizen“ zunächst keine Aussicht auf Freilassung aus der U-Haft und zweistellige Haftstrafen zu erwarten.

Das „fünfte Rad am Wagen“, der 60jährige Geschäftsmann Julio C., geriet nach Ansicht seines Verteidigers als Hafabesucher in Bremen nichtsahnend und nur wegen seines Alters und seiner Heimat Ecuador als der vermeintliche Chef eines Rauschgiftringes Carlos Hidalgo, der unterdessen längst im spanischen Knast saß, in die Mühlen des Falles. C.s Verteidiger Barton rollte gestern erneut die Widersprüche des BKA-Coups auf, nachdem er seinen inzwischen konkurs-geschädigten

und herzkranken Mandanten aus Ecuador entschuldigt und mit „Verfahrenshindernissen“ die Einstellung des Verfahrens gefordert hatte:

Dem Landgericht Bremen stünde es gut an, einen Schlußstrich unter die aufgezeigten

Lockspitzelaktivitäten zu setzen und festzustellen, daß dies rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist, stellte Barton fest. Er führte vor Richter Seydak, den Beisitzern Ziemann und Müllershausen, den beiden Schöffinnen und dem neu ins Verfahren eingeschalteten

Staatsanwalt Ellerbusch auch aus, daß die Strafanzeigen gegen Beamte des BKA und der Staatsanwaltschaft Bremen wegen ungerechtfertigter Abhörbeschlüsse seit einem halben Jahr lediglich durch Anlagen eines Aktenvorganges, keineswegs jedoch

durch Ermittlungen von Staatsanwaltschaft oder Polizei „bearbeitet“ wurden. „Der Leitende Oberstaatsanwalt billigt dieses Vorgehen ('wegen angeblicher Überlastung‘), wie mir aufgrund eines Schreibens der Staatsanwaltschaft vom 3.1.1990 aufgrund einer diesbezüglich eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerde mitgeteilt wurde“, legte Verteidiger Barton der Großen Strafkammer seine Ausführungen in einem 13seitigen Papier vor. (Erst auf Insistieren der Verteidiger-Crew waren die Richter übrigens gestern bereit, sich dieses Papier überhaupt anzuhören.) Daß darüber hinaus einige Seiten der Akten beim „Ablichten“ verschwunden und laut Staatsanwaltschaft nicht wiederzufinden und auch nicht zu rekonstruieren sind, ist für Barton ein Indiz, daß sie nicht den wahren Sachverhalt wiedergeben und unvollständig sind, wenn nicht gar „mögliche Manipulationen der Ermittlungsbehörden verheimlichen.“ Ob sich damit die Staatsanwaltschaft überhaupt noch einmal befassen, ob die Südamerikaner noch einmal vor Gericht gebracht und das BKA in dieser Sache vernommen wird, bleibt abzuwarten. Scheint aber fraglich.

ra