TRAURIGE GESTALTEN

■ Lorca beim Seiltanz in der Schaubühne

Es gibt gute Gründe, etwas von Lorca zu lesen. Einer davon ist, daß man über ihn kaum etwas sagen kann, ohne ins Stottern zu geraten; ein anderer, daß sein Name ungefähr so bekannt ist, wie seine Texte unbekannt sind. Seine vielen Talente sind Lorcas Verhängnis: Ihn darzustellen bedeutet, ein multimediales Requiem aufzubieten. Die Schaubühne versucht derzeit diesen Drahtseilakt: „Federico Garcia Lorca. Notas autobiographicas“ bringt Texte, Lieder und Zeichnungen des lebendig gewordenen Don Quichotte, des Dichters von der traurigen Gestalt, der zum symbolhaften Mythos für das geschundene Spanien des Bürgerkrieges wurde, nachdem er im August 1936 von Falangisten ermordet worden war.

Gedichte auf der Bühne können sich leicht verirren, der große Raum macht sie schüchtern - besonders die von Lorca: Um meine Kindheit zu suchen, mein Gott / verschlang ich verfaulte Orangen, vergilbte Papiere / leere Taubenschläge / und fand meinen kleinen Körper zernagt von Ratten / im Grunde des Brunnens, mit dem Kräuselhaar des Verrückten. Gedichte sind ja oft gerade geschrieben, um nicht gesprochen zu werden. Lorcas geheimnisvolle Verse sind morbid und düster, reden von „Dämmerschattenwölfen“ und „schwarzen Schmetterlingen„; kaum ein Text, in dem es nicht todgeweiht um Blut und Klagen, Zittern und Sterben geht. Und so weiß sich Sprecher Gerd Wameling der Träume nur zu erwehren, indem er gelegentlich Pathos dazwischenkleckst und ansonsten rezitiert, als wäre das eine traumatische Pflichtübung unterm Weihnachtsbaum. Traurig auch die Gestalt der Opernsängerin Maria Teresa Reinoso, die allerdings so herzzerreißend wackelig auf ihren Stimmbändern steht, daß man ihr Öl von Lorcas vielbemühten Oliven in die Kehle gießen möchte.

Doch das Projekt steht nicht nur auf morschen Beinen: Allein die wunderbare Christine Oesterlein sprengt den theatralischen Rahmen und erzählt. Sie rezitiert nicht. Ihre Augen sehen aus den Texten, die sie spricht, und da wird dann auch die Bühne endlich als Umgebung wahrgenommen, nicht als zu großer Schuh: Die „Händler der schönen Düfte“, die „Maurenmädchen“ oder der tote Freund, die Lorca gezeichnet hat, monströs verzerrt, schwere- und perspektivlos, erscheinen und verschwinden geräuschlos wie Erinnerungen von der Bühnendecke. Es sind Zeichnungen, die an Juan Miro oder Lorcas Freund Salvador Dali erinnern.

Lorca im Theater? Eine insgesamt gut gemachte, wenn auch nur fragmentarisch geglückte „Inszenierung“, wäre da nicht das tragisch-fröhliche Publikum. Zugegeben: Man geht nicht ins Theater, um einer Vorlesung zu lauschen. Aber der vorzügliche Monolog, in dem Christine Oesterlein Lorcas keineswegs abstraktes „Spiel und Theorie des Dämons“ verabreichte, war so offensichtlich eine infame Mißachtung der Unterhaltungssüchtigen, daß sich diese kichernd und hustend die Störung verbaten. - Aus ähnlichem Anlaß muß Lorca 1926 an einen Freund geschrieben haben: „Es tat mir ein bißchen leid, als ich feststellte, daß ich einen Vortrag halten kann, ohne über das Publikum zu lachen.“

Es gibt also gute Gründe, etwas von Lorca zu lesen. Aber leise.

Christian Vandersee

„Federico Garcia Lorca. Notas autobiographicas“, noch am 25. Januar, 1./7./16./17. und 22. Februar in der Schaubühne, 20.30 Uhr.