SCHAUPLATZ MUSEUM?

■ Eine Reise durch Raum, Zeit und West-Ost-Berlin

Eigentlich wollte ich an diesem Sonntagabend nach Ost-Berlin gehen. Da kam mir dieses verlockende Angebot zu, für die taz einen Vortrag von Bazon Brock zu rezensieren, dessen Gewitztheit ja bekanntlich auf jede Hörerin sofort überspringt. Davon konnte ich wohl was gebrauchen, als regelmäßige Schriftverfertigerin für die taz. Außerdem hatte Bazon vor Jahren einer meiner Freundinnen an den Hintern gegriffen, also fühlte ich mich mit ihm vertraut. Und was ein mir Nahestehender ausführt, konnte mir nicht gleichgültig sein.

So machte ich mich denn auf den Weg in die Schloßstraße zum Bröhan-Museum, wo Bazon Brock anläßlich der diesjährigen am Wochenende begonnenen Reihe „Schauplatz Museum“ über „Mode zu Möbeln. Das schöne Sein im Art Deco“ sprechen sollte. Hatte extra zweimal im 'Zitty‘ wegen der Hausnummer nachgesehen, 1A stand festgemeißelt in meinem Kopf. In der Steglitzer Schloßstraße - ich wähnte mich schlau, schon am Walter-Schreiber-Platz ausgestiegen zu sein, wo die Schloßstraße beginnt, und nicht erst an der Haltestelle gleichlautenden Namens - gab es unter Nummer 1 ein riesiges Einkaufszentrum, weit und breit war kein Museum zu sehen. Womöglich habe ich das ultramoderne, einer Disko oder einem Supermarkt täuschend ähnliche Gebäude - denn nur in einem solchen konnte Bazon Brock sprechen - wegen meiner Museumsgerichtetheit übersehen, ich schaltete um auf dekonzentrierte Apperzeption. Ich ging an den umliegenden Hausnummern vorbei, suchte wie nebenbei einen Eingang zu einem Hof, eine unauffällige Tür zu erhaschen, fragte schließlich bei zwei an der Bushaltestelle wartenden Damen an. Sie waren prompt überzeugt, das Museum unten am Kreisel gesehen zu haben, ich verfluchte in Gedanken das 'Zitty‘, das, so vermutete ich, mit der Hausnummergenauigkeit Schindluder trieb. Ich ließ mich dennoch nicht sofort die ganze Schloßstraße hinunterjagen und beharrte weiter auf meiner Nummer 1A, unterstellte der Stadt eine neue Variante ihrer raffinierten Hausnummernverteilungssysteme. Die Dame an der Bushaltestelle gab mir den genialen common-sense Rat, doch im Telefonbuch zu verifizieren, und - sie streckte den Arm aus - dort habe sie eine Zelle gesehen. Ich nichts wie hin. Ich hielt es für eine zusätzliche List des Schicksals, daß natürlich der Band L bis Z oben lag. Diesen runter und rauf den von A bis K und „Bröhan“ war wider Erwarten einfach zu finden. Die Nummer, die hinter Schloß stand, war unwiderruflich 1A. Ich hatte also recht und rannte zurück zu den Damen und triumphierte, sehen Sie, wie ich gesagt habe: 1A. Da muß ich mich wohl getäuscht haben, sagte die Dame und drehte mir entschlossen-beleidigt den Rücken zu. Ich begann jetzt systematisch jeden Entgegenkommenden nach dem Museum zu fragen, aber jeder tat, als spräche ich ihn auf chinesisch an. „Bröhan“, schrie ich immer lauter, das Kopfschütteln wartete ich schon gar nicht mehr ab. Da war endlich ein Leuchtschild auf einem Taxi, ich winkte von Ferne, stieg ein, können Sie mich zum Bröhan-Museum bringen, wohin?, der Taxifahrer drehte sich mit offenem Mund zu mir um. Ich wiederholte den Namen des Veranstaltungsortes, muß hier in der Schloßstraße sein, er wiederholte „Bröllhahn“, und ich sagte „Bröhan“, und nochmal mußte ich ihn verbessern, bis er das Lautbild endlich richtig verstand. Nie gehört, aber er habe ja Gott sei Dank dieses „schlaue Buch“, in dem er nun zu blättern anfing. Es erwies sich als für das Bröhan-Museum nicht schlau genug. Er blätterte vor und zurück, bis er es schließlich zuklappte und über Funk rief, 431 bitte kommen, nach drei Versuchen kam ein verschlafenes „Moment mal“ zurück. Der Zeiger an der Straßenuhr rückte indes ohne Unterlaß weiter, irgendwo hatte Bazon zu sprechen begonnen, mir witschte die Gewitztheit durch das Taxifenster davon. Als sich die Zentrale endlich meldete, und er „Bröhan“ in das Mikro hinein buchstabierte, antwortete ein Kollege sofort, gegenüber dem ägyptischen Museum, da schob sich mir eine „19“, die ich im Telefonbuch links liegen gelassen hatte, ruckartig in meinen Kopf nach vorn. Ach, du liebes bißchen, ich hatte verstanden, noch bevor der Taxifahrer verstand, Charlottenburg, Schloßstraße, aber natürlich, wieso hatte ich daran überhaupt nicht gedacht. Als er mich fragte, ob er mich dahin bringen sollte, hatte ich die Tür schon von außen geschlossen, ich brauchte ihm ja nicht zu sagen, daß ich taz-Journalistin und grundsätzlich bargeldlos bin.

Ich konnte es mir also ausrechnen. Mein Wunsch hatte mich reingelegt. Daß Ost-Berlin inspirierender war als jeder westdeutsche Professor, wer hätte dies in diesen Zeiten einen Moment lang in Frage gestellt? Ich würde also auf Bazon Brock pfeifen, das Vorgehen, die letzten zehn Minuten Vortrag zu einem Zeitungsartikel breitzuklopfen, war sogar mir als tazlerin fremd. Ich stieg zur U-Bahn hinab, diesmal Haltestelle Schloßstraße. Ich wollte meine Freunde in Ost -Berlin anrufen, um sicher zu gehen, daß es nicht zu spät war für einen Besuch. Weder Telefonzelle noch Groschen, stellte ich fest, sowieso kein offener Kiosk und kein Mensch weit und breit. Ich beschloß, zum Bahnhof Zoo zurückzufahren, der ja eh in Richtung Ost-Berlin liegt, da hatte ich schon auf der Herreise Süßzeug erstanden: Wenn überhaupt irgendwo, konnte ich dort meine Mark telefonflüssig machen. Daß heute auf der Bahnsteigseite, die mir als Nordrichtung bekannt war, der Zug Richtung Steglitz fuhr, konnte mich nur mehr mäßig erschüttern, auch nicht die Tatsache, daß, als ich es endlich merkte, die U-Bahn über meinem Kopf gerade am Wegfahren war. Ich sah nur die Zeit nach Maßgabe meiner Irrtümer vergehen. Besagtes mangelndes Wechselgeld hatte mir ebenfalls verunmöglicht, eine Fahrkarte zu kaufen, an „Kurfürstendamm“ verließ ich den Zug, weil der Bahnsteig voller Blauhemden war (man stelle sich vor, 60 Mark zahlen für einen nicht geschriebenen Artikel, das wären an diesem Abend 120 DeMark Verlust! Ich erreichte zu Fuß jenen besagten Kiosk, einer fragte mich unterwegs nach meiner einzigen Mark, ich bekam sie mit viel Überredungskunst für zwei Lakritzenrollen gewechselt, und, wie absehbar, fielen die Groschen haltlos durch die öffentlichen Fernsprechapparate durch.

Ich gab es auf, beschloß, freiwillig auf Start zurückzugehen, um von dort, wenn überhaupt, den Abendrettungsversuch ganz von vorn zu initiieren. Die Babysitterin fuhr erschrocken auf, als ich so früh in der Tür stand, was, schon zu Hause, nein, wahrscheinlich gehe ich gleich noch mal weg. Die Telefonleitung nach Ost-Berlin war wider Erwarten frei, bei meinen Freunden dafür besetzt. Ich hatte die Verhinderung mittlerweile als Wesenselement dieses Abends begriffen; sie spornte mich zu eiligen Schritten Richtung Taxis am Nollendorfplatz an (ich hatte die Heimkehr dazu auch benutzt, mir aus der Haushaltskasse Geld zu entleihen).

Sind Sie bereit, mich nach Pankow zu fahren?, dem Taxifahrer gingen gleich mehrere Lichter auf, ouu, jeea, das mach ich geeane, das macht mir Spaß, das wollte ich schon immer mal probieren, ich blieb skeptisch trotz erklärtem amerikanischem Abenteuergeist. Ich muß nur schnell meine Papiere aus dem Kofferraum holen, weg war er und wieder zurück, ach, so ein Mist, ich habe meinen Paß zu Hause vergessen. Ich wußte schon, daß an dieser Sache ein Haken war. Aber macht nichts, wir gehen an der Bornholmer rüber, das ist im Wedding, ich wohne im Wedding, da fahr ich schnell bei mir zu Hause vorbei, hole meinen Paß, das dauert keine Minute. Ouu ja, das macht Spaß, das wollte ich immer schon tun. Der Mercedes glitt ruhig durch die leeren Straßen, ich sah auf die Uhr, halb zehn, der halbe Abend vorbei. Er hielt in der Exerzierstraße, und, während er loslief, seinen Paß zu holen, studierte ich auf dem Stadtplan die Nähe von Wedding und Pankow, den Weg in den Osten hatte ich, als er zurückkam, auswendig gelernt. Der Taxifahrer gehörte zur Kategorie dreiviertel Jahr im sonnigen Süden und drei Monate fahren für das dazu benötigte Geld.

Wir waren eine verschworene Spießgesellengemeinschaft, als wir an der Bornholmer vorfuhren, vielleicht ging es deshalb schneller denn je. Die Abfertigung dauerte um weniges länger als das Warten an einer Ampel, und schon hatte das Taxi ins andere Land übergesetzt. Im Osten gab es natürlich Sackgassen und Einbahnstraßen, aber keine metaphorischen, nur rein praktisch mußte man die Mühlen- statt die Berliner Straße entlang. Und in Kürze standen wir vor dem Haus. Das Licht in der Wohnung meiner Freunde brannte, ich erklärte dem Taxifahrer den Rückweg und ließ ihn mit einigen Mark Trinkgeld allein. Meine Freunde hätten mir um ein Haar die Tür nicht geöffnet, weil ich nicht telefonisch angemeldet war - sie fürchteten einen jener sensationsgeilen Journalisten, ich indes hatte meinen Artikelhunger draußen vor der Tür abgelegt. Dabei bekam ich in Sachen Politrevue bei der gerade zu Ende gegangenen Sitzung des Dresdener Neuen Forums sämtliche Nachrichten für einen Superaufmacher in der Aktuellen - ich aber blieb sogar in Gedanken der Berlinkulturredaktion treu. Alles war witzig und gut, bis ich mich zusammen mit meinem Freund, der, keinem falschen Bildungsbedürfnis erlegen, schon um acht Uhr hierhergekommen war, auf den Heimweg machte. Er als Franzose mußte noch immer um zwölf und über den Checkpoint Charlie zurück. Ich nahm den Übergang Friedrichstraße, wo ich erfuhr, daß Checkpoint Charlie für mich jetzt auch passierbar war. Der Zugang zur U-Bahn Richtung Marienfelde war dafür ausgerechnet heute Abend gesperrt, wo mich mein Freund am Halleschen Ufer mit dem Auto erwartete. Ich nahm, hindernislaufgeübt, die S-Bahn zum Anhalter Bahnhof und lief dann im Dauerlauf runter zum Halleschen Tor. Da stand das Auto, mein Freund war zur U-Bahn runtergelaufen, ich rannte ihm nach, wir fanden uns und für den Abend einen annehmbaren Schluß. Nur den Babysitter mußte ich noch bezahlen; wie lange müßte der Artikel werden, damit ich das Babysittergehalt wenigstens rein bekam?

(Bei sagen wir 60 Mark für die Babysitterin und bei jetzt 290 Zeilen zu je 55 Pfennig wird sich das gelohnt haben, d. Red. Und übrigens: Der Schauplatz Museum befindet sich auch heute abend ab 20 Uhr mindestens an drei verschiedenen Orten: im Berlin-Museum, Lindenstraße 14 in Kreuzberg, gibt's „Musik aus der Dose. Unterhaltungskonserven im Kaiserreich“, im Brücke-Museum, Bussardsteig 9 in Dahlem, gibt's Texte und Gamelan-Musik unter dem Motto „Mehr Platz an der Sonne. Kolonialismus und Lebensart“, und im Bröhan -Museum schließlich verbreitet sich Karl Schlögel über „Kultur und Krach“.)

Michaela Ott