Jetzt kann Schalck das Geld ausgeben

■ Schalck-Golodkowski aus der U-Haft entlassen / Zustimmung von Generalbundesanwalt Rebmann / Verbindung zum Bundesnachrichtendienst vermutet

Der ehemalige DDR-Staatssekretär Dr. Alexander Schalck -Golodkowski ist wieder ein freier Mann. Gestern nachmittag um 15 Uhr holte ihn sein Verteidiger in Moabit ab. Wo sich Herr Schalck derzeit aufhält, ist nicht bekannt. Das gab gestern nachmittag der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Schultz bekannt.

Er habe Schalck nicht an die DDR ausgeliefert, weil er „Übermaßreaktionen“ beim Gerichtsverfahren befürchtet habe, erklärte Schultz. Zu diesem Verdacht habe ihn die Aussage von Schalck selbst geführt, der die Befürchtung geäußert habe, ihm würde neben den offiziell genannten Gründen „landesverräterische Tätigkeit“ vorgeworfen. Den Generalstaatsanwalt überraschte das nicht, denn schon während eines Gesprächs mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) Mitte Dezember 1989 war er auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden; aufgrund der „Stellung“ Schalcks in der DDR, wie er sagte. Schalck hatte drei direkte Vorgesetzte: Mittag, Honecker und den im Politbüro für Staatssicherheit Zuständigen, Mielcke. Man kann davon ausgehen, daß er über wichtige und für westliche Nachrichtendienste interessante Informationen verfügt. Ob Schalck direkt für den BND gearbeitet habe, wisse er nicht, sagte der Generalstaatsanwalt gestern, aber „es haben jetzt viele Interesse an ihm“.

Gegen Schalck, der seit dem 6. Dezember in Moabit in Haft war, lag ein Zulieferungsbegehren der DDR vor. Als Grund war „erschwerte Untreue“ in zwei Fällen angegeben worden. Rechtlich habe der Zulieferung des von der DDR begehrten Staatssekretärs nichts entgegengestanden. Der Generalstaatsanwalt der DDR habe ihm auch alle Zusicherungen, die er für die Sicherheit und die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens verlangt habe, gegeben. Schalck sollte seinen West-Verteidiger bekommen, und die Verhandlungen sollten alle öffentlich sein.

Nachdem er Anfang Januar fast bereit gewesen sei, dem Zulieferungsbegehren der DDR stattzugeben, habe ihm Schalck am 5. Januar „weitere Tatsachen“ mitgeteilt. Die hätten ihn dann zu der Entscheidung bewogen, ihn nicht auszuliefern, sondern in die BRD bzw. West-Berlin zu entlassen, sagte Schultz. Erst nach kreuzverhörartigem Befragen durch die Journalisten gab Schultz zu, daß es sich bei Schalcks Vergehen um möglichen Landesverrat handelte. Ob Schalck direkt für den BND gearbeitet habe, „weiß ich nicht“, meinte der Generalstaatsanwalt. Sicher aber sei der mögliche Landesverrat nicht zu ungunsten der BRD gewesen, denn der Generalbundesanwalt hat der Freilassung und Nicht -Auslieferung Schalcks zugestimmt.

Zu seiner Befürchtung, Schalck könne in der DDR mehr als die „Untreue“ vorgeworfen werden, hätten auch Drohbriefe beigetragen, die er und der Rechtsanwalt von Schalck im Dezember erhalten hätten. Darin habe man ihn aufgefordert, Schalck sofort auszuliefern, „sonst holen wir ihn mit Hilfe der RAF raus“. Er habe diese Briefe ernst genommen, meinte der Generalstaatsanwalt. Sie seien von zwei verschiedenen Absendern gekommen, einer davon eine „Betriebsgewerkschaftsgruppe“ eines Kollektivs in der DDR. Unternommen habe er allerdings nichts. Die Entscheidung des Berliner Generalstaatsanwalts ist endgültig. Wenn die DDR ihren Ex-Devisenbeschaffer und jetzigen möglichen Informanten des BND wiederhaben will, muß sie ein neues Zulieferungsbegehren mit neuen Anklagepunkten ausstellen.

bf