Staatsdiener spielt Medienpionier

■ Wie der Gelsenkirchener Stadtwerke-Direktor Ingo Westen in Kommunalpresse und Lokalfunk mitmischt

Man nehme: einen jung-dynamischen Betriebswirt, einen ehemaligen freien Mitarbeiter einer Lokalzeitung, ein wenig Kapital und zwei Strohfrauen, mische dies unter Luftabschluß, äh... Ausschluß der Öffentlichkeit ein wenig zusammen und verteile es an knapp 300.000 Leute. Zubereitungszeit: am besten 20 Monate lang im Umfeld von vier Wahlen. Unverfänglicher Name des Gerichts: 'sonntags -journal‘.

Nach diesem Rezept verfuhr Ingo Westen, seines Zeichens Direktor der Stadtwerke Gelsenkirchen und einflußreiches Mitglied der in Gelsenkirchen absolut herrschenden SPD. Im Frühjahr 1989 ließ er - sich dabei diskret im Hintergrund haltend - ein Anzeigenblatt mit Namen 'sonntags-journal‘ gründen. „Chefredakteur“ des Blattes wurde ein Ex-freier Mitarbeiter der lokalen 'WAZ‘, und als Anteilseignerinnen der 100.000 DM Grundkapital der GmbH fungierten laut Handelsregister zu jeweils der Hälfte die Ehefrau des Redaktionsleiters und eine Friseuse im westfälischen Olfen. Für die Leute seiner Zeitung besann sich Ingo Westen, ehemaliger Schalke-04-Kassierer und in Personalunion auch Chef einer Joint-venture-Firma zwischen Stadtwerken und Stromgigant RWE, einer Methode aus dem Profifußball. Ein RWE -Mitarbeiter wurde einfach als Geschäftsführer an den neuen Verein „ausgeliehen“: „abgestellt gegen Kostenerstattung“ liest sich das in der Lokalpresse. Das neue Werbeblatt kam nicht weit: Nach 31 Ausgaben seit Ende April mußte es mit 800.000 DM Schulden Konkurs anmelden.

Da half auch nichts, daß die Stadtwerke Gelsenkirchen regelmäßig zwischen einer und anderthalb Seiten des Blattes mit Anzeigen für Strom, Gas, Kabelfernsehen und anderen „Produkten“ der Stadtwerke und ihrer Töchter belegten. Keine andere der drei Gelsenkirchener Tages- und zwei Wochenzeitungen konnte sich auch nur annähernd solch lukrativer Anzeigenaufträge aus städtischer Hand erfreuen.

Beim Konkurs platzte das Bömbchen: 300.000 DM hatten die Stadtwerke Gelsenkirchen gleich nach Gründung der 'sonntags -journal‘ GmbH in Geheimverträgen stillschweigend hineingebuttert „als Vorauszahlung für positive Berichterstattung“ und mit der Option für die Stadtwerke, sich an dem Blatt zu beteiligen, wobei die Vorleistungen als Gesellschaftsanteile verrechnet werden sollten. Schließlich erhoben die Stadtwerke Gelsenkirchen den Vorbehalt der „unterstützenden Mithilfe“ bei der Auswahl der sie betreffenden Berichterstattung.

Was da wie ein lokales Skandälchen aussieht, hat eine Vorgeschichte mit ziemlich handfestem medienpolitischen Hintergrund. Es ist nicht das erste Mal, daß die Gelsenkirchener Stadtwerke im Medienbereich öffentliche Gelder in ein Medienunternehmen reinbuttern. Angefangen hat es im Jahre 1983 mit der Gründung der Tochter-„Gesellschaft für Kabelkommunikation“ (GfK), die bei der Verlegung von Fernsehkabeln mitmischen und verdienen sollte. Inzwischen hat die GfK aber schon mindestens zwei Filme produziert und ist groß ins Lokalradiogeschäft eingestiegen - nicht von ungefähr:

Nach dem nordrhein-westfälischen Landesrundfunkgesetz für den Privatfunk ist es nämlich demnächst den Städten oder ihren Tochtergesellschaften erlaubt, sich bis zu 25 Prozent an den Betreibergesellschaften für die lokalen Rundfunkstationen zu beteiligen. Die entsprechende, verfassungsrechtlich höchst umstrittene Passage wurde aufgrund eines Gutachtens in das Gesetz aufgenommen, das die Stadtwerke Gelsenkirchen bei einem Verfassungsrechtler in Auftrag gegeben hatten.

Der Geschäftsgegenstand der „Gesellschaft für Kabelkommunikation und Gebäudetechnik“, wie sie inzwischen heißt, ist konsequenterweise für das Handelsregister erweitert worden. Dazu gehört nun “...ferner die Produktion und Sendung eigener und fremder Hörfunk- und Fernsehprogramme und eigener und fremder Kommunikationsdienste, sowie die Vornahme damit zusammenhängender Handelsgeschäfte“.

Auch auf andere Weise läßt der umtriebige Ingo Westen seine Stadtwerke im Medienmarkt mitmischen. Der Geschäftsführer des 'sonntags-journal‘ wurde schon vor Jahren vorsichtshalber zum Vorsitzenden eines „Vereins zur Förderung des Lokalfunks“ delegiert

In Räumlichkeiten der Gelsenkirchener Stadtwerke residiert der „Verband lokaler Rundfunk in NRW“ mit gesetzlich verbrieftem Anspruch auf einen Sitz in der Rundfunkkommission der Landesanstalt für Rundfunk (entspricht als Kontrollgremium den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender). Der Geschäftsführer des Verbandes lokaler Rundfunk, Frank Böhnke, wiederum amtiert gleich hinter Peter Scholl-Latour (Bertelsmann/Gruner & Jahr) als Vize-Vorsitzender des „Bundesverbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation“, einem Dachverband der privaten Rundfunkveranstalter.

Inwiefern derartige Aktivitäten überhaupt zulässig sind, soll nun überprüft werden. Die lokalen Grünen, die schon von einer „Manipulation des Medienmarktes mit städtischen Geldern“ gesprochen haben, erwägen die Einschaltung der Kommunalaufsicht.

-boff